Dienstag, 15. Januar 2013

Demagogie, Hetze und offener Antisemitismus heute



Demagogie, Hetze und offener Antisemitismus heute



Vladimir Tismăneanu, der spät, doch nicht zu spät erwachte Dissident aus dem amerikanischen Exil, wurde von den Gegnern der demokratischen Entwicklungen schnell zum Buhmann stilisiert, ähnlich wie es andersdenkende Intellektuelle wie Doina Cornea, Mircea Dinescu und Mihnea Berindei schon erlebt hatten, nur radikaler und vielfach schäbiger. Alles, was gegen Tismăneanu diskreditierend ins Feld geführt werden konnte, wurde genutzt, um ein Zerrbild zu erzeugen, das den Vorsitzenden, die Kommission und die erzielten Ergebnisse der Studie in Frage stellte. In einem Land, wo die Kultur des Misstrauens ein halbes Jahrhundert hindurch höchst effizient kultiviert worden war, blühte die Saat der Verdächtigungen immer noch und trug auch reiche Früchte.

Der Angriff der Rechten, die nach ihrem Verständnis allein die nationalen Interessen Rumäniens vertraten, richtete sich gegen den Kommunismus-Experten schlechthin. Man bezweifelte ungeniert Tismăneanus Sachkompetenz und warf ihm, dem Sohn jüdischer Eltern, seine Abstammung vor und im gleichen Atemzug seine ideologische Einbettung in das Umfeld der kommunistischen Nomenklatur der Nachkriegszeit. Dann kramte man in seiner Vergangenheit, wurde partiell fündig und streute scheinbar belastende Partikel nach guter alter Securitate-Manier, die vom Eigentlichen ablenkten und fabrizierte Gerüchte, die mehr desinformierten als sie zur Aufklärung und Wahrheitsfindung beitrugen. Plötzlich sah es für einige oberflächliche Beobachter so aus, als hätte man mit der Berufung Vladimir Tismăneanus wieder einmal der Bock zum Gärtner gemacht; genauso wie die SRI, die Nachfolgeorganisation der Securitate, den Zugang zu den CNSAS-Akten bestimmte. Das war die Chance für Demagogen, vor allem für den größten und rücksichtslosesten unter ihnen.

Gerade Vadim Tudor, der Chef der Großrumänienpartei, der bereits in einer Reihe von Gerichtverfahren des Antisemitismus, der üblen Nachrede und der Verleumdung bezichtigt wurde, zog alle Register des schlechten Geschmacks, um gegen den Politologen von der Universität in Maryland zu Felde zu ziehen, ihn wüst zu beschimpfen und zu stigmatisieren, in der Hoffnung, etwas werde schon hängen bleiben, zumindest im Kopf einiger seiner undifferenziert denkenden Landsleute, die sein Wählerklientel darstellten. Tudor, der mit den Blättern Romania Mare, Politica und Tricolorul gleich drei meinungsbildende Publikationsorgane besitzt und dessen Privatvermögen auf einen zweistellige Millionenbetrag in Euro geschätzt wird, überschüttete die Tismăneanu-Kommission schon im Vorfeld der Veröffentlichung ihrer Ergebnisse und der anschließenden Verurteilung der kommunistischen Weltanschauung in dem Hetzbericht Vladimir Tismăneanu, ein jüdischer Provokateur, der Traian Băsescu eine fatale Falle stellt - mit einer wahren Flut von antisemitischen Beschimpfungen, wie man sie in Europa seit Julius Streichers Hetztiraden im Stürmernicht mehr vernommen hat.

Der vielfach durch kritische Buchveröffentlichungen über den Stalinismus und Kommunismus ausgewiesene Wissenschaftler, der sich seit seiner Flucht im Jahr 1981 für ein Leben in Freiheit entschieden hat und als Regimekritiker über Jahre Verfolgungen ausgesetzt war, muss sich - zum Staunen der zivilisierten Welt - die übelsten Verleumdungen und Beschimpfungen anhören, die ein Hetzredner überhaupt formulieren kann. Vadim Tudor, der zufällig auch noch Vizepräsident des Rumänischen Senats ist und als Senator die Staaten des Alten Europa bereist, und der auch sonst gern gegen Gott und die Welt wettert, gegen Amerika und Russland, gegen KGB und CIA, greift, um Tismăneanu lächerlich zu machen, in die unterste Schublade des Beschimpfungsarsenals, holt von dort vieles von dem hervor, was seit jeher an Schmähungen gegen Juden vorgebracht wurde und bezieht es auf Tismăneanu. Er sei ein vaterlandsloser Geselle - die Securitate führte seine Verfolgungsakte symptomatisch unter Kain - der sich zum Richter der rumänischen Vergangenheit aufschwinge. Die Juden hätten den Rumänen den Kommunismus gebracht, unter ihnen die Eltern des Vorsitzenden, und nun wolle er, der Mann ohne nationale Wurzeln, sich zum Richter eines Volkes aufschwingen. Leider wiederholte Paul Goma in seiner jüngsten Abrechnung mit Tismăneanu die gleichen Argumente, nur etwas milder im Ton. Tismăneanu, der wohlbehütete Kommunistenspross von gestern, der bis zu seiner Flucht von den Segnungen des Kommunismus profitiert habe, wolle nun als vermeintlicher Antikommunist mit den Schandtaten des Kommunismus abrechnen und die Geschichte der Rumänen neu schreiben, schimpft Tudor. Auch darin folgt ihm der inzwischen rechtslastige und zunehmend antisemitischer schreibende Goma. Ungeniert und maßlos wettert Tudor mit einer Stimme, wie man sie bisher nur von den eingefleischtesten Judenhassern unter den Nazis kannte, in seiner als christlich und europäisch selbstapostrophierten Zeitung Tricolorul : Wer gibt einem Vagabunden vom Format dieses Chamäleons das Recht, die Rumänen bei sich zuhause zu richten? Stellen uns schon wieder die Juden die Ordnung in Kultur und Geschichte her? Ich glaubte, wir seien diese Heimsuchung bereits los! Corneliu Vadim Tudor, ein langjähriger Securitate-Mitarbeiter, Ziehsohn Eugen Barbus, Parteipropagandist in der Zeitschrift Săptămăna, Denunziant von Schriftstellerkollegen, poetischer Stümper und als Ceauşescu-Lobhudler lange bedacht, Adrian Păunescu den panegyrischen Rang streitig zu machen, vergaß bei diesen Verleumdungen des deklarierten Antikommunisten, dass er selbst das ultimative Chamäleon verkörperte - eines mit Tarnfarben und Wendehals, denn Tudor hatte bei bewusster Umgehung der Mitte die Haut des Ultralinken abgelegt, um in das Fell der Rechtsradikalen zu schlüpfen. Ein totalitäres System gegen ein anderes genau so totalitäres System einzutauschen, macht ihm, dem chauvinistischen Antidemokraten, wohl keine Schwierigkeit. Professor Vladimir Tismăneanu, dessen historische und politikwissenschaftliche Autorität durch solche Anfeindungen untergraben wird, muss sie ertragen und in einer derart vergifteten Atmosphäre seine Aufklärungsarbeit im Land weiterführen. Doch Europa hört dem Antisemiten Tudor weiter zu, wenn es überhaupt zuhört, und tut nichts dagegen!

An welche Fakten konnte der Propagandist in eigener Sache anknüpfen? Gab es überhaupt Belastendes in der Vergangenheit des Wissenschaftlers? Und war nun Tismăneanu wirklich nur ein verkappter Kommunist, der überhaupt kein Interesse an der wirklichen Aufarbeitung der diktatorischen Vergangenheit Rumäniens haben konnte, wie immer wieder wiederholt wurde?

Während nur wenige Zeitungen neutral blieben, wie der Cotidianul, der ausgewogen und sachlich berichtete und schon früh den vorläufigen Endbericht in das Internet stellte, stimmten weitere Blätter aus Sensationslust in den Chorus der Verleumdungen ein. Auch für Teile der Presse war Vladimir Tismăneanu nicht irgendein unbelasteter Politikwissenschaftler aus einem westlichen Elfenbeinturm, der eine Wissenschaftskommission von Historikern einberief; kein harmloser und naiver Zögling des kommunistischen Systems, der viele Jahre nur indirekt von den Privilegien des Parteiapparates profitierte, bevor aus dem strammen Saulus ein geläuterter Paulus wurde, sondern sie sahen in ihm einen Perspektivagenten der Securitate, der mit Hilfe dieser Verbrecherorganisation in den Westen geschleust worden war.

Diese These, verbunden mit äußerst grotesken Agentengeschichten, wurde bereits im Vorfeld von der Zeitung Ziua in dem verleumderischen Bericht Der Agent Volodea in die Welt gesetzt. Andere tendenziöse Presseberichte und Internetbeiträge knüpften an die konstruierten Vorwürfe an und verbreiteten sie über elektronische Nachschlagewerke, wo sie, zumindest bei gutgläubigen Erstlesern, viel Schaden anrichten. Selbst der Fachmann muss heute genau darauf achten, welchen Informationen er überhaupt noch vertrauen kann. Über die Desinformationskampagne, hinter der mit hoher Wahrscheinlichkeit, ja Sicherheit alte Securitate-Strukturen zu vermuten sind, wurde eine Isolation der Kommission und des Landespräsidenten über Spaltung angestrebt, ganz nach dem alten Motto: divide et impera.

Ferner sollte der Eindruck erweckt werden, auch demokratische Kräfte und ehemalige antikommunistische Dissidenten wie Goma, Cană, Cornea, Frunză und viele andere, könnten es nicht ganz verstehen, dass der Präsident des Landes, Băsescu, eine kontroversierte, wenn nicht sogar kompromittierte Persönlichkeit zum Kopf der Aufarbeitungskommission berufen hat. Denn, und das sind die Fakten, die gerne verdreht werden, Vladimir Tismăneanu ist tatsächlich der Sohn kommunistischer Idealisten, die im Spanischen Freiheitskampf aktiv waren. Der Vater lehrte nach 1945 Marxismus-Leninismus an der Bukarester Universität, während die Mutter im Gesundheitsministerium Karriere machte. Da ist viel Raum für Polemik - Goma nutzt beides, wenn er selbstapologetisch zu Felde zieht. Doch was kann der Sohn für die Biographie des Vaters, die übrigens im Bericht der Kommission nicht geschönt wird, der Sohn, der sich in einer radikalen Abkehr von den Idealen der Eltern distanziert hat? Darf nicht jeder einen eigenen Weg gehen? Wahrheiten und Legenden wurden und werden immer noch miteinander vermengt. So soll Vladimir, Schulkamerad der Kinder von Staatschef Dej und Diktator Ceauşescu, nach dem Studium zum Propagandisten der Jungkommunisten und des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei aufgestiegen sein. Er habe sich in jenem Rahmen mit aller Kraft für die Sache und den Triumph der kommunistischen Weltrevolution eingesetzt. In seiner Dissertation über die Neue Linke und die Frankfurter Schule habe er die fatale These vertreten, der westliche Kapitalismus könne endgültig nur durch die sozialistische Revolution besiegt und als gesellschaftspolitisches Modell abgelöst werden. Diese Behauptungen, die bei einer differenzierteren Auseinandersetzung mit der Materie sicher leicht überprüft und wohl auch entschärft werden könnten - doch dazu gab es bisher nie Gelegenheit - waren und sind natürlich Wasser auf die Mühlen der Kritiker und Skeptiker, vor allem der übergangenen unter den so genannten Experten von außen.

Aus der Sicht konservativer Kräfte und ehemaliger antikommunistischer Dissidenten, die, wie ich damals, ein Leben lang genau das ideologische Gegenteil vertraten, ist nur schwer nachzuvollziehen, wie eine Person, die einige Zeit prokommunistischen Anschauungen nahe stand, an die Spitze einer Kommission berufen werden kann, die sich die Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur zum Ziel gesetzt hat. Der fehlende Schwarz-Weiß-Kontrast spricht dagegen. Tismăneanu, der Insider, kannte die Welt der stalinistischen Nomenklatur, und er redete ihre Sprache; doch hatte er auch einen Sinn für die Welt der Millionen Minderprivilegierten im Land und für die Betroffenheit der zahlreichen Opfer? Daran zweifelt Goma mit anderen Verfolgten des Systems.

Da ich ein Leben lang an einer klaren, ethischen Linie festgehalten habe und diese Messlatte auch anderen vorlegte, überzeugt davon, dass die Moral kein Wert ist, auf den man je nach Lust und Laune verzichten kann, hätte auch ich bevorzugt einen radikalen Neuansatz herbei gewünscht, einen für alle nachvollziehbaren Schritt; und mit der Zäsur einen antikommunistischen Neufang wie in Polen und Tschechien statt eines langwierigen, lauen Übergangs mit intransparenten Übergangsakteuren von gestern.

Die Desinformationskampagne der Rechten und der Linken erreichte im Fall Vladimir Tismăneanus bis zu einem gewissen Grad die beabsichtigte Diskreditierung der Person und damit auch eine Schwächung seines Mentors, des Präsidenten der Republik Traian Băsescu. Denn der erste Eindruck, der sich schnell aufgrund der Aussagekraft des Faktischen festsetzen kann, führte manchen nicht tief genug forschenden Beobachter aufs Glatteis. Die Verabsolutierung einer Teilwahrheit, die nur einen existentiellen Abschnitt betrifft, erreichte ihr Ziel. Die vielen Gutgläubigen gingen gerissenen Gerüchtestreuern auf den Leim und folgten der oberflächlichen Betrachtungsweise, die vom Eigentlichen ablenkte. Das ist symptomatisch und verweist auf bestimmte Wirklichkeiten im Land und auf die Zerrissenheit einer ohnmächtigen Gesellschaft.




Auszug aus: Carl Gibson,

Symphonie der Freiheit
Widerstand gegen die Ceauşescu-Diktatur

Chronik und Testimonium einer Menschenrechtsbewegung

in autobiographischen Skizzen, Essays, Bekenntnissen und Reflexionen,

Dettelbach 2008, 418 Seiten -

Leseprobe


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