Sonntag, 6. Januar 2013

Die "Aktionsgruppe Banat", Herta Müller und ihr denkwürdiges Verhältnis zur Rumänischen Kommunistischen Partei des Diktators Ceausescu – Auszug aus Carl Gibson, Symphonie der Freiheit


Die "Aktionsgruppe Banat", Herta Müller und ihr merkwürdiges Verhältnis zur Rumänischen Kommunistischen Partei des Diktators Nicolae Ceausescu –

 

 

Leseprobe, aus Carl Gibson, Symphonie der Freiheit

 

 

Aktionsgruppe ohne Aktion!

Literarische Dissidenz, Solidarität und Moral im Fall William Totok -  Z

wischen geistiger Opposition und loyaler Kritik?


 

Das Phänomen ist bekannt. Wenn die Schlachten geschlagen sind und die Sieger feststehen, will jeder auf der Siegerseite sein. Nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus im Deutschen Reich waren Millionen von NSDAP-Mitgliedern auf einmal nur noch unfreiwillige Mitläufer - und diejenigen, die einst die Straßenseite wechselten, um nicht einen Angehörigen exekutierter Widerstandskämpfer grüßen zu müssen, entpuppten sich selbst als Kombattanten der Alten Ordnung, als redliche Bürger und als Urdemokraten von Anfang an.

In postrevolutionären Rumänien, wo der erste Führer-Lobhudler im Staat postwendend gleich zum ersten Dissidenten in Land avancieren wollte, war es nicht viel anders, nicht weniger grotesk - und genauso heuchlerisch oder, milder ausgedrückt, so allzumenschlich wie sonst wo. Die Feiglinge von heute hatten viel Verständnis für die Feigheiten von gestern. Und weil sie gerne Helden gewesen wären, damals, als es gefährlich war, ein Kämpfer zu sein, wollen sie sich wenigstens heute zu Helden erheben, in vollendeter Selbstmythisierung, wenn es sein muss. Die Welt will betrogen werden! Also helfen wir ihr dabei, den Schein des Scheins aufrecht zu erhalten. Ungeniert wie Păunescu, Tudor und andere ihres Schlages …“

Wer war in Rumänien ein Dissident? Wer opponierte wirklich? Und reicht es schon, einem Anwerbeversuch der Securitate widerstanden zu haben - wie Herta Müller nach eigenen Angaben - um als Widerstandskämpfer zu gelten? Dann hätte es viele Dissidenten gegeben im sozialistischen Rumänien des Diktators Ceauşescu!

Die Wirklichkeit sieht anders aus. Mit der Lupe hätte man sie suchen können, die Oppositionellen im Land - und wäre kaum fündig geworden. Und die Andersdenkenden unter den Literaten und Künstlern? Da wäre ein Elektronenmikroskop angebracht gewesen, denn so gering war ihre Präsenz im 22 Millionen-Einwohner-Staat!

Als ich seinerzeit im Jahr 1977 in Temeschburg unter den Intellektuellen vor Ort nach geistigen Allianzen suchte, fand ich wenig oppositionelles Potential vor. Und selbst viele Jahre danach, in der analytischen Rückschau, wurde es nicht besser. Wirkliche Dissidenten unter den Kunstschaffenden damals blieben die Ausnahme. Und unter den Kreativen deutscher Zunge war die Situation noch enttäuschender, ja fast nicht existent, wenn man von seltenen Ausnahme-Charakteren absieht, die bekanntlich die Regel bestätigen. Die Details der damaligen Situation, die noch viel Raum für wissenschaftliche Aufarbeitung bietet, beschreibe ich in Gegen den Strom. Die folgenden Kapitel daraus repräsentieren einen essentiellen Auszug, der auch das Verhältnis zu den rumänischsprachigen Autoren und Dissidenten markiert sowie Unterschiede hervorhebt.

Als ich seinerzeit - wie Herakles am Scheideweg angekommen - dabei war, meine künftige Positionsbestimmung vorzunehmen, festigte sich die Gewissheit, dass ich im weitläufigen Bekanntenkreis linksorientierter Literaturschaffender keine politische Heimat würde finden können. Die meisten unter ihnen wollten primär nur Künstler sein, Poeten, Schriftsteller, während ich nach gesellschaftskritischen Charakteren, nach politisch denkenden Oppositionellen und nach potentiellen Widerständlern Ausschau hielt. Darüber hinaus war meine Absetzung von der selbstapostrophierten Avantgarde, die sich aus historischer Sicht und vor allem aus politischer Sicht als nichtrepräsentative Minderheit in einer Minderheit verstand, neben ethischen Kriterien und literaturästhetischen Faktoren von weltanschaulichen Überzeugungen bestimmt, die eindeutig antikommunistischer Natur waren.

Systemimmanente Kritik zu akzeptieren, Anregungsvorschläge aus der Partei, das System selbst zu reformieren, fiel mir 1977/78 sehr schwer, weil ich das kommunistische System selbst weder für verbesserungswürdig, noch für verbesserungsfähig hielt. Der Geschichtsverlauf seit der Oktoberrevolution, in welchem ein totalitäres Regierungssystem in vielen Staaten zum Durchbruch gelangte, sprach dagegen. Im real existierenden Sozialismus sah ich nur die gescheiterte Utopie. Nach meiner damaligen Einschätzung waren die linksorientierten Poeten vor Ort, die, wenn überhaupt, nur sehr zaghaft aufmuckten, keine Dissidenten im eigentlichen Sinne des Wortes - bis auf einen vielleicht. Und nach meinem Empfinden hatten sie bis zu einem gewissen Grad auch moralisch versagt, weil sie den Kommunismus nicht nur als gottgegeben hinnahmen, sondern ihn sogar begrüßten, der Partei zujubelten, sich mit ihr arrangierten und sogar paktierten, um ihre Zwecke, Studium und Publikationen, zu erreichen - und weil sie die verlogene Weltanschauung über ihr Handeln, ja dort, wo es darauf ankam, durch ihr Nichthandeln fast bis zuletzt billigend stützten.

Damals urteilte ich - wie im Fall Berwanger deutlich wurde - aus der radikalisierten, kompromisslosen Sicht des Einzelkämpfers, der konsequent seinen Weg geht, vom Idealismus getragen, geradeaus, auch wenn dieser in den Untergang führen sollte. Für rein existentielles Verhalten hatte noch ich keinen Sinn - bis zu dem Zeitpunkt, wo mir diese Haltung fast zum Verhängnis geworden wäre. Wie gestaltete sich die konkrete und geistige Situation damals in Temeschburg?

Nach mehreren Jahren argwöhnischer Beobachtung hatte der Sicherheitsdienst in der Stadt an der Bega die so genannte Aktionsgruppe Banat 1975 schließlich verboten und aufgelöst - nachdem einige ihrer Mitglieder, unter ihnen auch mein dichtender Nachbar Gerhard Ortinau, zeitweise verhaftet und mehrtägigen Verhören unterzogen worden waren.

Die vermeintlich liberalen Vorgaben des Staates, über alle Themen des täglichen Lebens kritisch berichten zu sollen, von rumänischen Intellektuellen ebenso missverstanden wie von Angehörigen der Minderheiten, waren wohl aus dem Ruder gelaufen und hatten sich selbstständig gemacht. Gegen die verhafteten Linken, die in ihrer Überzeugung und inneren Wahrhaftigkeit vielleicht wirklich linker waren, als es der Staat erlaubte, wurde der plakative Vorwurf erhoben, sie hätten faschistische Literatur verbreitet, nachdem die Securitate bei William Totok ein Exemplar von Hitlers Mein Kampf gefunden hatte, vermutlich ein Propagandarelikt aus der Vorkriegszeit, das die massenhafte Bücherverbrennung im Backofen vor dem Zusammenbruch des Dritten Reiches überstanden hatte.

Im Anschluss an einen einwöchigen Aufenthalt im Untersuchungsgefängnis der Securitate in Temeschburg mit ausführlichen Vernehmungen waren dann Richard Wagner, der Spiritus rector der Aktionsgruppe, mein poetischer Nachbar Gerhard Ortinau und der landesweit ausgewiesene Literaturkritiker Gerhard Csejka wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Die gegen diese Vierergruppe erhobenen Vorwürfe, unter anderem ein ihnen unterstellter illegaler Grenzübertrittsversuch, die sich als weitgehend absurd erwiesen hatten, waren im Vorfeld fallen gelassen worden.

William Totok hingegen, gegen den anderes Geschütz aufgefahren worden war, blieb weiterhin in Untersuchungshaft, teils im Securitate-Bau, teils im Gefängnis in der Popa Sapca-Straße, ganze acht Monate lang, bis er aufgrund eines aufklärenden Berichtes der französischen Zeitung Le Monde freikam. In dieser Zeit bemühte sich der Securitate-Apparat in Temeschburg darum, William Totok, der einige zeitkritische Gedichte verfasst und in den Westen geschmuggelte hatte, antisozialistische Propaganda vorzuwerfen.

Hauptmann Petru Pele, der Basilisk persönlich, hatte es auf ihn abgesehen, unterstützt von wem? Vom Krokodil natürlich, vom gutmütigen Köppe, der William Totok bereits seit dem Militärdienst im Visier hatte. Der triviale Vorwurf, das Bewusstsein der Leser vergiften zu wollen, der in der gleichen Art schon früher gegen jene fünf Siebenbürger Schriftsteller vor Gericht erhoben worden war, stand nach weiteren sechzehn Jahren sozialistischen Gesellschaftsaufbaus wieder im Raum; zu einem Zeitpunkt, als die scheinbar etwas liberaler gewordene Republik ihr früheres Unrecht bereits eingesehen und die sächsischen Schriftsteller nach mehrjähriger Haft begnadigt und rehabilitiert hatte.

Nach dem gleichen Schema wie damals, als Kollegen gegen Kollegen aussagten, sollten auch diesmal systemloyale Gutachter aus dem akademischen Umfeld der Universität Temeschburg zum subversiven Charakter der Dichtungen Stellung nehmen. Der Staat fürchtete Kritik, selbst die Kritik von links, eben weil er starr und nicht reformierbar war. William Totok, wurde, repräsentativ für die moderaten Kritiker und vielleicht auch zur Abschreckung anderer lyrischer Rebellen, ins Gefängnis geworfen und dort ohne Urteil acht Monate festgehalten, allein auf den Verdacht gestützt, er hätte sozialismusfeindliche Literatur produziert.

Die beiden anderen Studienkollegen, Wagner und Ortinau, aber kamen recht glimpflich davon. Weshalb, fragte man mich damals in der Szene. Wie hatten sie es geschafft, so schnell freizukommen? Wogen ihre literarischen Vergehen weniger schwer als Williams Totoks Poesie?

Das war ein kaum zu durchschauendes Geflecht, eine labyrinthische Angelegenheit, die für Außenstehende damals noch nicht zu entwirren war. Die Securitate, das wusste ich aus eigener Erfahrung, war nicht immer kalkulierbar - und nicht alle ihre Handlungen waren logisch nachvollziehbar. Gerhard hatte mir in unseren nächtlichen Gesprächen zwar einiges angedeutet; doch erst als ich nach vielen Jahren William Totoks Erinnerungen in der Hand hielt, jene Zwänge der Erinnerung, 1988, nach seiner Ausreise, in Deutschland erschienen, sah ich die Dinge etwas klarer.

Selbst heute sind die damaligen Entwicklungen nur zum Teil aufgeklärt, weil immer noch viele Dokumente unter Verschluss stehen und die Securitate – anscheinend unter dem neuen Namen SRI wieder auferstanden und quicklebendig – auch heute noch nach eigenem Ermessen selbst zu bestimmen scheint, wer in ihre früheren Dossiers Einsicht nehmen darf und wer nicht. Einige sonderbare Verhaltensweisen deuten darauf hin, die CNSAS, die dortige Gauck-Behörde, sei eine Institution, die offensichtlich mehr verstecke, als sie offen lege und aufkläre. Nur was war damals wirklich los?

Weshalb musste William Totok, wohl der einzige Poet des Kreises mit einem wirklichen Sinn für politische Veränderung über aktive Opposition und Dissidenz, für alle büßen als armer Sünder am Pranger? Mangelte es im Freundeskreis der Gruppe an zwischenmenschlicher und geistiger Solidarität? Hatten die Freunde den in Not geratenen Mitstreiter hängen lassen oder gar belasten müssen? Hatte man sie ausgequetscht, mit Drohungen überhäuft und dann erpresst nach der alten Securitate-Vorgehensweise aus dem stalinistischen Lehrbuch? Oder gab es überhaupt keine Möglichkeit, dem Bedrängten irgendwie zu helfen?

William Totok hatte, wie wir es inzwischen aus Wagners Gesprächen wissen, tatsächlich provokative Lyrik in den Westen geschickt, was allerdings nicht explizit verboten war. Hatte er mit seiner Aktion individueller und fahrlässiger agiert als andere Mitglieder der Aktions-Gruppe, die sich strenger und präziser an die selbst definierten, mündlich untereinander abgesprochenen Regeln und Statuten gehalten hatten? Und was besagten diese Regeln der Festelegung und Selbstkastration? Wozu noch aktiv als Aktionsgruppe ein Weltverbesserertum anstreben, wenn man sich selbst den Maulkorb anlegt und sich selbst beschneidet? In freiwilliger Selbstzensur! In servilem, vorauseilendem Gehorsam? Aber ja, der Begriff Aktionsgruppe war schließlich von außen an den losen Freundeskreis herangetragen worden – als hermeneutischer Begriff – und war somit nicht Programm!

Wagner hat inzwischen vieles eingesehen, eindeutig Stellung bezogen und etwas reumütig Näheres zu dem unerquicklichen Ereignis von damals ausgesagt. In einem Gespräch mit dem Literaturhistoriker Stefan Sienerth vom IKGS, das dieser in den 1997 erschienenen und gerade neu aufgelegten Band Dass ich in diesen Raum hinein geboren wurde. Gespräche mit deutschen Schriftstellern aus Südeuropa  aufnahm, betont Wagner im damals schon heißgeliebten, doch kaum praktizierten Klartext: Unsere Entlassung damals nach einer Woche Untersuchungshaft war eine Blamage für die Securitate. Das war der Hauptgrund, warum sie sich auf William Totok konzentrierten, ihn dann wenigstens stellvertretend bestrafen wollten. Dazu muss noch gesagt werden, dass wir, die anderen, ich selber, uns zu unserem Kollegen nicht solidarisch verhalten haben. Wir haben ihn fallenlassen. Wir waren auf die Situation nicht vorbereitet. Totok war angreifbarer als die anderen aus der Gruppe, auch weil er sich nicht an die Grupperegeln gehalten hatte. Hinter formalen Gründen regt sich ein Gewissen. Gruppenregeln? Wie vertragen sich diese Selbstbeschränkungen mit dem freien Willen freier Individuen?

Dann aber formuliert Wagner den essentiellen Satz, der auch für die ideelle Beurteilung und Interpretation seiner Werke aus jener Zeit richtungsweisend sein dürfte: Wir strebten keine Dissidenz an, sondern eine Art loyaler Kritik.

Zuerst kam das Literarische. Das war bei ihm nicht so. Er schickte beispielsweise unveröffentlichte Gedichte in den Westen, wobei es einen gegenteiligen Beschluss in der Gruppe gab. Ich erfuhr davon beim Verhör. Und wollte damit auch nichts zu tun haben. Damit zeigte sich die Befangenheit in der eigenen Perspektive. Ich wollte nicht ausreisen und wollte auch kein verbotener Autor sein. Hätte ich zu Totok gestanden, wäre ich 1975 ein Dissident geworden und wäre mit ein paar Gedichten im Kopf nach Frankfurt am Main gekommen. Wollte ich aber nicht. Soweit Wagner im Rückblick.

Aus meiner Sicht war der Satz: Wir strebten keine Dissidenz an, sondern eine Art loyaler Kritik, dessen ungeistige Botschaft mich leitmotivisch verfolgte wie eine böse Schimäre, eine schlichte Katastrophe! Eine geistig-moralische Bankrotterklärung! Denn dahinter stand die indirekt passive, doch faktische Anerkennung des Status quo und einer illegitim an die Macht gelangten Partei, deren Wesen autoritär, ja sogar totalitär war, selbst nach der finsteren Zeit des Stalinismus!

Viele Mitläufer, Historiker, Literaten, Journalisten, fast alle in irgend einer Führungsposition, haben diese später als verbrecherisch gebrandmarkte und moralisch verurteilte Partei praktisch anerkannt, gebilligt, geduldet, nur um den eigenen Weg des Kompromisses gehen zu können, um Karriere zu machen und im Rahmen des Systems gut zu leben!  

Wagners fataler Satz ist ein spätes partielles Schuldeingeständnis und auch eine Selbstapologie. Aber er ist immerhin aufrichtig!

Ähnliches hatte ich nach der verheerenden Wirkung von Niederungen auch aus dem Munde Herta Müllers erwartet, zumal sich ihre Angriffe gegen die übel bedrängten und geschwächten Landsleute richteten - und nicht gegen den Großen Bruder, um dessen Schutz sie sogar noch anhalten sollte! Doch da kam nichts, was auch nur den Hauch von Einsicht, Bedauern oder gar eine Entschuldigung für eigenes Fehlverhalten hätte erkennen lassen!  

Die Securitate frohlockte. Kommunikative Missverständnisse untereinander nutzte sie gnadenlos aus. Offenbar war es der Securitate damals gelungen, einen Keil in die Gruppe zu treiben und ihre Mitglieder zu spalten und voneinander zu isolieren. Nur: Wie kann eine Welt der Angst, des Terrors und der omnipotenten und allpräsenten Heuchelei letztendlich mit einer Art loyaler Kritik verändert werden?

Und wie kann man eigentlich politisch denken wollen und zugleich apolitisch schreiben? Ich konnte so etwas nicht! Weder damals noch heute! Heldentum und Märtyrertum waren nicht einzufordern; das wusste ich längst. Doch man hätte auch schweigen können - oder nichts veröffentlichen! So handelte ich damals - dafür galt ich nicht als Dichter!

William Totok, der erst im Jahr 1987 kurz vor dem Zusammenbruch des Kommunismus in Rumänien nach Westberlin ging, zu einem Zeitpunkt, als alle anderen schon gegangen waren, ist seinen weltanschaulichen Überzeugungen treu geblieben. Als leidenschaftlicher Linker von Anfang an und militanter Antifaschist bemüht er sich auch heute noch, der historischen Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen. Zwischen Deutschland und Rumänien hin und her pendelnd und im kontinuierlichen Dialog mit Zeitzeugen sowie politischen Akteuren der Gegenwart ist Totok bestrebt, dort Aufklärungsarbeit zu leisten, wo sie dringend notwendig ist - als Autor und Publizist hier im Westen und dort im neuen EU-Staat Rumänien, um so den Demokratisierungsprozess im Land seiner Geburt voranzutreiben; und dies im permanenten Kampf gegen neu aufkommende totalitäre und antisemitische Tendenzen gerade in Rumänien! Die nur über individuelle und kollektive Vergangenheitsaufarbeitung und Vergangenheitsbewältigung zu erarbeitende historische Wahrheit ist die Voraussetzung zur Implementierung demokratischer Strukturen schlechthin.

Weltanschauliche Überzeugungen müssen nicht immer eine unüberwindbare Hürde sein. Wenn Offenheit gegeben ist, ist Weltanschauung sekundär. Geleitet vom gemeinsamen Ziel einer historischen Wahrheit können selbst ideologisch divergierende Ansätze zu guten Ergebnissen führen. Das ahnte ich damals 1977 nur dunkel. Bestätigt fand ich es nach Jahrzehnten in der publizistischen Zusammenarbeit mit William Totok, Johann Böhm und Dieter Schlesak bei der Halbjahresschrift für südosteuropäische Geschichte und Literatur, einer neuzeitlichen Publikation, die – mehrsprachig auch über das Internet verbreitet – schnell und unmittelbar über aktuelle Entwicklungen gerade in Rumänien informiert. Wir Dissidenten von einst, geprägt von der Solidarität der Zelle, dachten und fühlten ähnlich. Der Dichter erkennt den Dichter, der Geist den Geist - und der Andersdenkende erkennt den anderen Dissidenten eben weil sie alle - mit Tucholsky - die Freiheit und dahinter die Wahrheit sowie die Gerechtigkeit anders fühlen als die Apologeten des Kompromisses. Totoks Forum ist heute primär das mehrsprachige, auch als Online-Edition verfügbare Blatt Halbjahresschrift für südosteuropäische Geschichte, Literatur und Politik, kurz HJS, eine Zeitschrift, in welcher auch einige meiner Beiträge zur Geschichte der Oppositionsbewegung in Rumänien erschienen sind, nicht zuletzt - und avant la lettre - ein Vorabdruck aus der Symphonie der Freiheit.

William Totok ist der wohl am besten informierte Journalist im Westen, wenn es um die rumänische Aktualität geht. Die damaligen Ereignisse rund um die Verhaftung der befreundeten Autoren, die Untersuchungshaft und den Gefängnisaufenthalt hat Totok in seiner ausführlichen Zeitbeschreibung dokumentiert und als Buch veröffentlicht. Für sein detailgerechtes, gut recherchiertes und mit vielen Quellen bestücktes Erinnerungswerk, für seine konsequente Haltung über Jahrzehnte und für das engagierte Eintreten für Demokratie hätte er einen besonderen Preis verdient! Vielleicht einen jener Preise, die aus einem groben Missverständnis heraus anderen zugesprochen wurden! Anderen, weil aus Unkenntnis der Materie angenommen wurde, sie hätten opponiert! Dabei profitierten gerade diejenigen Akteure, die das Totalitäre billigten, indem sie es ohne zu widersprechen tolerierten, sich mit ihm arrangierten, ja es sogar öffentlich anerkannten und sanktionierten!  Verkehrte Welt!?

Eine um weitere Quellen angereicherte Neufassung der Zwänge der Erinnerung mit Interviews historisch involvierter Personen erschien in rumänischer Sprache unter dem Titel Constrîngerea memoriei im Jahr 2001. William Totok hat in einem mutigen Akt der Vergangenheitsbewältigung, der Rumänien bitter Not tut, einige seiner früheren Peiniger in Zwiegesprächen zur Rede gestellt, unter ihnen einen unmittelbaren Handlanger des Systems, einen Militärstaatsanwalt Burca, der - frech und ungeniert auch heute - seine damalige Arbeit nur aus Liebe zur Wahrheit versehen haben will! Ein Unding - doch typisch für das ganze System! Ebenso interviewte er einen hohen Securitate-Offizier, der Einblicke in die Funktionsweise und in die Hierarchie des Geheimdienstapparates gab sowie einen harmlosen Universitätsdozenten, dem es sehr peinlich war, seinerzeit gedrängt von der Securitate als Gutachter und Interpret der Lyrik Totoks mitgewirkt zu haben - und der heute, nach der Revolution, in die gleiche Situation versetzt, gerne viel mutiger reagieren würde. Letzterer starb nach bevor er Gelegenheit erhielt, Mut zu beweisen!

Alle wurden mit den damaligen Ereignissen rund um seine Verhaftung und Verurteilung konfrontiert. Allein schon die Art, wie die Akteure nach Jahren der Demokratisierung über ihre einstigen Taten sprechen, gibt zu erkennen, wie verlogen das gesamte System damals war; und wie feige der einzelne Bürger. Totok lässt die Fakten sprechen und verzichtet selbst auf Schuldzuweisungen. Dafür wird eine Materie so umfassend aufgeklärt, dass sie auch vom westlichen Leser gut nachvollzogen werden kann.

Der zweite der Totok-Brüder aus Großkomlosch, Gunter, prallte anders mit der Securitate zusammen. Die Freiheit der Rede hatte es ihm angetan, das frei gesprochene Wort auf der Straße. Gelegentlich traf ich Gunter in der Bastei, ohne zunächst zu wissen, dass er ebenfalls von der Securitate politisch verfolgt, verurteilt und durch berüchtigte Gefängnisse gezerrt worden war. Auch vom ihm erfuhr ich damals keine Details über literarische Opposition und Widerstand oder über das weitere Schicksal seines Bruders William. Gunter, von dem ich nicht wusste, ob er sich überhaupt literarisch betätigte, hatte die spleenige Art eines Dandys, der mit halbmisanthropisch verächtlichem, halb elitärem Blick in die Welt schaut. Er war ein schöner Jüngling, eine imposante Gestalt mit langen, blonden Haaren und einem mächtigen ungarischen Schnurrbart, im hellblauen Markenjeansanzug und hohen Wildlederstiefeln und wirkte, wenn er lässig daher trottete, wie ein magyarischer Husar oder ein altgallischer Kämpfer, wie ein Vercingetorix im zwanzigsten Jahrhundert, der als anachronistische Erscheinung aus der Zeit der Völkerwanderung, provozierend in die Welt des Sozialismus hineinragte. Seine äußere Protesthaltung ging sicher noch weit über die meine hinaus. Wenn wir gelegentlich bei einer Tasse Kaffee beisammen saßen, kam er auch auf die Berührungen mit dem Sicherheitsdienst zu sprechen und die Verfolgungen, denen beide Brüder ausgesetzt waren. Er kannte das Terrarium, den Basilisken und das Krokodil - und war nicht gut darauf zu sprechen. Details über frühere Entwicklungen wurden jedoch kaum erörtert und blieben mir auch sonst verborgen, vielleicht, weil wir uns nur oberflächlich kannten. Trotzdem verband uns ein Band gegenseitiger Sympathie, das auf unsichtbaren parapsychologischen Schwingungen zu beruhen schien und auf einem Hauch gemeinsamen Protests. Erst später, als ich Williams Lebensbeschreibung las, erfuhr ich, dass auch Gunter massiv von der Securitate bedrängt worden war. Er war zwei Jahre vor mir verhaftet worden und - unter dem an sich unhaltbaren Vorwurf, er hätte faschistisches Gedankengut verbreitet - wegen ausgeübter antisozialistischer Propaganda zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Sein Leidensweg führte ihn in Ketten in das berüchtigte Gefängnis von Aiud. Er kam erst mit frei, als William, der Dichter und Dissident, auf internationalen Druck hin aus der Haft entlassen wurde.

Mir fehlte seinerzeit der volle Durchblick der Entwicklungen um die Aktionsgruppe, die ich nur gerüchtweise aufnahm. Konkrete Antworten blieben damals aus … Aber sie interessieren auch heute noch, da sie die historische Wahrheit erhellen und damit dem Mythos entgegenwirken. Aufgrund der Unkenntnis der Fakten entzog sich mir die volle Dimension der literarischen Opposition vor Ort, dieses unmittelbar neben mir abrollenden Martyriums weniger Charaktere für freie Meinungsäußerung in Form von Poesie, bis auf die Andeutungen Gerhards, die ich damals nicht alle richtig werten konnte.

Die anderen Literaten, fast alle Germanistik-Studenten an der  Universität, wurden zwar auch immer wieder belästigt, doch blieben ihnen besondere Brutalitäten offensichtlich erspart. Ihre Kollision mit der Securitate, die sich etwa bei Herta Müller zunächst akzidentiell gestaltete, später aber, falls ihren fiktiv gestalteten Sujets auch etwas Wahrheit zukommt, nachhaltiger wurde, ergab sich aus dem Umstand - wie der Lyriker Dieter Schlesak es in den oben erwähnten Gesprächen mit Professor Stefan Sienerth vom IKGS einmal treffend formulierte - dass einige aus der Aktionsgruppe die realsozialistische Gesellschaft links überholen wollten, also aus weltanschaulichen Gründen! Und wohl durch den unvermeidlichen Zusammenprall einer idealen sozialistischen Vorstellung mit dem real erlebten Sozialismus in der Gesellschaft.

Aus heutiger Rückschau wird deutlich, dass das Repressionsinstrument des Staates Securitate, die alle oppositionellen Regungen - die linksprogressiven wie die rechtkonservativen - gleichermaßen vehement bekämpfte, unser gemeinsamer Gegner war. Alle oppositionellen Kräfte hätten sich schon damals gegen diesen Leviathan verbünden müssen. Leider war das nicht möglich gewesen - und so blieb es beim singulären Protest einzelner Individuen, bis auf wenige Ausnahmen. Eine davon konstituierte sich in Temeschburg in unserem Dissidentenkreis OTB.

 

Deutsche Dichter im Fadenkreuz der Securitate. Dissidenz oder Mythos – ethnische oder ideologische Diskriminierung?


 

Als im Sommer 1979 einer meiner schwäbischen Mithäftlinge aus der Ortschaft Marienfeld seine Haftzeit verbüßt hatte und wieder nach Hause durfte, bat ich ihn, meine Eltern in Sackelhausen aufzusuchen. Das auf dem Dachboden versteckte Romanfragment Die Flucht in die Heimat, ein Manuskript über das Los zwangsdeportierter Deutscher in Russland, machte mir Sorgen. Es müsste so schnell wie möglich verbrannt werden, dachte ich, da ich bei einer möglichen Auffindung der Schriften durch die Securitate massive Schwierigkeiten im Zusammenhang mit antisozialistischer Propaganda befürchtete; sprich: neue Untersuchungen, ein weiteres Urteil und ein paar Jahre mehr Haft!

Der Landsmann hielt sein Wort nicht - und schrieb nur eine Postkarte. Zufälligerweise blieb diese  nicht in den Filtern der Securitate hängen. Sie wurde zugestellt - mit der Klartextbotschaft, das schon heiße Manuskript ins Feuer zu werfen. Das war eine törichte Angelegenheit, die mich Kopf und Kragen hätte kosten können. Doch ich hatte Glück. Mein eingeweihter Cousin Günther hatte das halbfertige Opus bereits unmittelbar nach meiner Verhaftung vernichtet.

Andere Dichter und Schriftsteller deutscher Zunge hingegen waren mit weniger Fortune gesegnet. In ihren Schubladen fand die Securitate umfassende Schriftstücke vor, intime Tagebücher, Entwürfe, Notizen, Ideen, unvollendete Manuskripte, verbotene Literatur und anderes an geistiger Konterbande, alles Materialien, aus welchen den Betroffenen schnell ein Strick gedreht werden konnte. William Totok, einer der am eindeutigsten Verfolgten, hat in seinen beiden Buchveröffentlichungen zahlreiche Quellen zusammengestellt.

Opfer von Hausdurchsuchungen und Verdächtigungen durch die Securitate sowie von anschließenden Verhören wurden - neben Kunstschaffenden, die heute kaum noch einer kennt wie den Poeten Botlung - selbst Personen aus dem akademischen Umfeld. Hauptsächlich aber standen die Dichter aus dem Freundeskreis der Aktionsgruppe im Fadenkreuz; unter ihnen mein Nachbar Gerhard Ortinau, William Totok, Rolf Bossert und später auch Horst Samson, der langjährige Sekretär des Adam-Müller-Guttenbrunn-Kreises sowie Helmuth Frauendorfer. Jeder von ihnen galt als verdächtig, ungeachtet der Tatsache, dass sie alle mit Fug und Recht dem linkssozialistischen Spektrum zugeordnet werden konnten - der Aspekt, der deutschen Minderheit im Land anzugehören und ausschließlich in deutscher Sprache zu veröffentlichen, wog wohl schwerer.

Einerseits bemühte sich das offizielle Rumänien um eine vorbildliche Minderheitenpolitik und gönnte diesem kleinen Kreis Literaturschaffender eine an sich privilegierte Nischenexistenz mit Bevorzugungen, von denen angehende rumänische Künstler nur träumen konnten. Andererseits setzte das System ideologisch-nationalistisch ausgerichtet in einer nichtdeklarierten ethnischen Diskriminierung auf die vollständige Assimilation der Minderheiten und verdächtigte deshalb selbst Angehörige linksorientierter Gruppierungen, weil sie in ihrer Art, Kunst zu produzieren, vielleicht weniger konform auftraten, als erwünscht. Zumindest unterblieb bis zu meiner Ausreise im Jahr 1979 die öffentlich erwartete primitive Form der Lobhudelei á la Mihai Beniuc, Păunescu und Tudor. War doch schon der vorhandene Konformismus der meisten Intellektuellen im Land überdominant. Rumänische Schriftsteller, die sich mit dem Regime arrangiert hatten, und das waren fast alle, konnten dafür gut leben.

Nur wenige Idealisten im Land - unter ihnen eine Handvoll Deutsche aus dem Banat und aus Siebenbürgen - wollten die Dinge weiterhin anders sehen und ungeachtet der Zuckerbrot und Peitsche-Taktik der Partei weitermachen. Sie hatten allesamt noch ein weitgehend gutes Gewissen und arbeiteten geistig an einem eigenen Überlebensmodell; an dem aus meiner Sicht nicht ganz konsequenten Zwischending, im Land bleiben und vor Ort wirken zu wollen, während die meisten ihrer deutschen Landsleute nach den Erfahrungen vor allem in der Zeit des Stalinismus sowie nach dem erneuten Rückfall in diese schon überwunden geglaubte Zeit der Verdächtigungen, der Angst und des Terrors ihre tatsächliche Existenz retteten und aus dem gleichen Land flohen.

Ab 1981 ging es in Rumänien nicht mehr um persönliche Selbstverwirklichung, sondern nur noch um nacktes Überleben. Der normale Werktätige musste sechs bis sechseinhalb Tage in der Woche arbeiten und hatte trotzdem Mühe, an das tägliche Brot heranzukommen oder seine Wohnung zu beheizen. In solchen Zeiten schwand auch der Sinn für Literatur. Nur Herta Müller, die damals an der Zensur vorbei oder mit dem Plazet der Zensur irgendwie ihr nestbeschmutzerisches Skandalbändchen herausbringen konnte, sah die Gründe der Niederungen ihres Umfelds nicht in der versagenden sozialistischen Gesellschaft, sondern bei ihren engstirnigen Landsleuten. Also beleidigte sie diejenigen unter ihnen, die noch lasen. Also beleidigte sie auch mich.

Ab 1983 häuften sich trotzdem die Schikanen, Belästigungen und Übergriffe gegen die wenigen deutschen Dichter im Land, so als ob man sie in den sich schon abzeichnenden finalen Exodus der Deutschen aus dem Banat und aus Siebenbürgen einreihen wollte, um auch sie, die selbst deklarierte geistige Vorhut, die nicht gehen wollte, aus dem Land zu treiben!

Bis zu jenem Zeitpunkt genossen die wenigen  Schriftsteller deutscher Zunge aus dem Banat und Siebenbürgen ihr weitgehend privilegiertes Dasein, was das Veröffentlichen ihrer Werke betraf. Da es nur wenige waren, die Literatur fabrizierten, konnten sie in der Regel all das veröffentlichen, was sie schrieben, wenn es nicht gerade offensichtlich politisch provozierte.

„Wenn ich ein Angehöriger einer Minderheit gewesen wäre, hätte auch ich recht früh mein Bändchen Gedichte haben können“, sagte mir ein rumänischer Lyriker und Dramatiker aus Temeschburg später einmal, nicht ohne Neid auf die bevorzugten deutschen Dichter im Banat.

Manch einer ließ sich gerne fördern und von Leuten wie Berwanger vereinnahmen, auch für die Sache der Partei. Doch war das nicht kurzsichtig und illoyal im Verhältnis zu rumänischen Literaten? War die Gesellschaft zu verändern, wenn jede system- und ideologiekritische Haltung vermieden wurde? Wohl kaum!

Die Securitate lauerte zwar überall mit Argwohn, lies die Kunstschaffenden aber trotzdem gewähren, bis zu jenem Tag, als nicht nur apathischer Konformismus, sondern auch deutliche Unterwürfigkeit eingefordert wurde.

Personen, die jahrelang unter den Bedingungen des Systems agiert, geschickt die Klippen umschifft und bewusst kulturell tätig gewesen waren, sollten nunmehr demonstrativ das Kriechen und das Katzbuckeln einüben und an ehrrührigen, schäbigen Vorgängen wie Infiltration, Ausspionieren und Denunziation von Kollegen mitwirken.

Ab diesem Zeitpunkt des Rückfalls in stalinistische Praktiken übelster Art, etwa um 1985, gingen selbst die bis dahin systemloyalen Künstler vorsichtig auf Konfrontationskurs und in die Gegenoffensive, passiv zunächst, nicht aktionistisch, indem sie sich weigerten, die literarisch-moralische Prostitution aktiv zu unterstützen, immer noch überzeugt, die führende politische Kraft im Land, die eine Partei, die immer recht hat, werde doch noch eine gütige Lösung herbeiführen.

Als Folge der Renitenz und leisen Protesthaltung kam es zu Hausdurchsuchungen. Zunächst bei Horst Samson, einem Dichter und Journalisten, der seit Jahren seiner Arbeit als Kulturredakteur bei der Neuen Banater Zeitung nachkam und gleichzeitig die Aktivitäten des Adam-Müller-Guttenbrunn-Kreises als Sekretär koordinierte.

Was war in der Privatwohnung eines Dichters aufzufinden? Manuskripte, Entwürfe, Skizzen, Ideen, Korrespondenz mit befreundeten Geistesschaffenden aus der DDR und der Bundesrepublik, Fotos und natürlich Bücher. Beschlagnahmt wurde dann, etwa bei Samson, vor allem Dissidentenliteratur; ferner Subversives, Antisozialistisches, Werke von Solschenyzin, von Goma und selbst Weltbestseller wie Doktor Schiwago von Nobelpreisträger Boris Pasternak. Die halbe Welt hatte bereits die grandiose Hollywood-Verfilmung des Stoffes gesehen. In Temeschburg aber konfiszierte die Securitate den Roman eines Russen, der zufällig ein sehr humaner Literat von Weltformat war. Und dies dreißig Jahre nach Stalins Tod. Ein zehnstündiges Verhör in den Räumen der Securitate sollte Klarheit bringen. Es verlief glimpflich und führte zu keiner Rechtsverfolgung.

Nicht besser erging es Samsons Kollegen Rolf Bossert, einem Dichter aus der Reschitzer Gegend, der sich schon 1972 dem Freundeskreis der so genannten Aktionsgruppe angeschlossen hatte. Auch bei ihm wurden die Zimmer durchwühlt. Als in seiner philatelischen Sammlung auch Briefmarken aus der Zeit des Tausendjährigen Reichs gefunden wurden, Postwertzeichen, die den Kopf des Führers und das Hakenkreuz abbildeten, musste er befürchten - wie einst Totok - zum faschistischen Deutschen gestempelt und möglicherweise sogar verurteilt zu werden. Ein Alptraum, ausgerechnet für Linke.

 

Zum Tod eines Dichters


 

Es ist nicht schwer auszumalen, dass ein sensibler Dichter, der eigentlich nur Verse zimmern wollte, dem rohen Terror der Verfolgungsorgane nicht gewachsen war. Unfähig, sich den permanenten Nachstellungen, die teilweise Jagdcharakter annahmen, zu entziehen, entschloss sich auch Bossert zur Ausreise in die Bundesrepublik. Die Folge davon war in seinem Fall eine Intensivierung der vielfachen Belästigungen und Schikanen durch die Securitate, die allesamt die Psyche des zarten Poeten weiter angriffen und zerrütteten.

Von Horst Bossert, der kaum zwei Monate nach seiner Ankunft in der Bundesrepublik unter rätselhaften Umständen zu Tode kam, zitiert man auch heute noch gerne sein symptomatisches Inserat: suche hund mit 2 mäulern/ der nicht schweigen muß / während er beißt. Sein tragischer Tod schockte Teile der informierten westlichen Öffentlichkeit und richtete fortan den Blick auf die Praktiken der Securitate, die auch andere Künstler verfolgte. Herta Müller konstruierte später daraus eine Fiktion.

Rolf Bossert, ein Dichter mit leichtem Hang zur Melancholie, wie es Freunde bezeugen, gab nach seiner Ankunft in der Bundesrepublik ein vielsagendes Interview, welches am 20. Februar 1986 in der Frankfurter Rundschau erschien. Es steht unter dem Titel Der Exitus der deutschsprachigen Literatur Rumäniens, und ist, da es viel über die Situation der Schriftsteller in einer Diktatur aussagt, auch heute noch recht lesenswert.

Im Jahr 1983 erhielt Rolf Bossert, der wohl begabteste unter den damals im Banater Raum Dichtenden, den Preis des Müller-Guttenbrunn-Kreises. In seiner Dankesrede nach der von Richard Wagner gehaltenen Laudatio sagte Bossert einige komprimierte Worte, die auf die innere und äußere Exponiertheit eines Dichters in einem totalitären System verweisen. Es sind etwas verklausulierte Aussagen eines gehemmten Dichters, der noch nicht ganz resigniert hat und der den schwierigen Bedingungen trotzend, doch noch agierend eingreifen und die Gesellschaft, in der er leben muss, gestalterisch verändern will.

Bossert spricht von der Poesie als Gegenentwurf zur Tagespolitik und von der Rolle des Dichters im Umgang mit der Macht: Ich suche mir nicht Bausteine für einen Elfenbeinturm zusammen. Der Schriftsteller, so wie ich ihn sehe, steht nicht über den Dingen, sondern darunter. Im Doppelsinn des Wortes. Ich baue keinen negativen, keinen umgestülpten Elfenbeinturm. Ich plädiere für eine Macht. Nicht für jene des Schriftstellerpolitikers, sondern für die des Politikerschriftstellers. Ich plädiere für die poetische Macht. Ich glaube an ihre Brisanz. Auch diese Macht steht jenseits des Moralischen. Ich plädiere für einen Gegenentwurf, für eine Utopie. Ich bin mir der Gefahr, in die ich mich begebe, bewusst. Ich weiß, gegen Vereinnahmung kann man sich nur bedingt schützen. Ich weiß, dass die anarchisch-ordnungsliebende poetische Macht gefürchtet wird, und deshalb kontrolliert, diskreditiert und pervertiert. Ich vermute, dass der konsequenteste Schriftsteller jener ist, der aufhört zu schreiben oder zu leben. Ich bin aber, wie alle Schriftsteller, zu sehr Egoist, zu wenig Egoist. Ich will im Bewusstsein meiner Inkonsequenz weitermachen. Wenn die Wellen über meinem Kopf zusammenschlagen, greife ich nicht nach dem Strohhalm, sondern nach dem Federkiel.“

Bossert muss in die teilweise paradoxe Aussage flüchten, um die Ausweglosigkeit des Künstlers zu beschreiben, die in letzter Konsequenz das Scheitern impliziert. Wenn ein Schreiben in Freiheit nicht möglich ist, dann ist das Nichtschreiben, eigentlich das Nichtveröffentlichen, ein Rezept des geistigen Überlebens, eines, das ich seinerzeit praktizierte, um anderswo konkret oppositionell zu agieren. Ethisches und verantwortungsvolles Handeln hatte nach meiner damaligen Auffassung Priorität vor der Kunst, auch weil es existentieller war als die Welt des Schönen Scheins in einer Welt des getrübten Scheins und der Täuschung.

Wenn Bosserts tragisches Ableben ein Freitod war, Menschen, die ihn gut kannten, schließen auch diese Möglichkeit nicht aus, dann ist die Tat in den zitierten Worten bereits geistig antizipiert.

Die Haltung, ich will nicht mehr, weil das Gegengewicht der Welt mich erdrückt, das von Heine verdichtete und von mir selbst erlebte Atlas-Syndrom, ist typisch für sensible Poeten, für Mimosen, die von Panzern überrollt werden. Wenn der Druck der Welt zu groß wird, dann bricht das Herz im Leibe und die Dichterseele, die darin wohnt, verfliegt im Äther.

Trägt der gleichgültige Westen eine Mitschuld an der tragischen Entwicklung? Möglicherweise hat das Nicht-adäquat-Gehörtwerden in der westlichen Gesellschaft einen Prozess, den die Securitate auf den Weg gebracht hat, noch beschleunigt!

Nemo propheta in patria? Freund Felix, die musische Mimose, war an der Ignoranz einer apathischen Gesellschaft gescheitert - und selbst ich, mehr zäh als zerbrechlich, hatte den Schmerz des einsamen Rufers in der Wüste vielfach erfahren müssen. Hinter der massiven Enttäuschung lauert das individuelle Scheitern - wie hinter dem tiefen Leiden die Verzweiflung lauert. Künstlerseelen, angesiedelt am Rande der Melancholie, sind exponiert und immer gefährdet. Die Dissidenz im Feinen wie im Groben fordert ihre Opfer, selbst noch lange danach. Womöglich ist Rolf Bossert ein warnendes Beispiel.

Doch seine verkündete Vision war richtig. Die poetische Brisanz, die schon bei Dichtern wie Sorescu und Blandiana, präsent war, brach später bei Mircea Dinescu am eindeutigsten durch und erreichte selbst die Menschen auf der Straße. Ab dem Jahr 1983 wurden auch Richard Wagner und Herta Müller schikaniert, sagt man. Nur wurden sie auch konkret verfolgt, verhaftet, verurteilt?

Wann, wo und wie? Ihre spärlichen Biographien geben keine genaue Auskunft über konkrete Verfolgungen durch die Securitate. Und Herta Müller schweigt auf meine Fragen! Warum wohl?

Manchmal konnte der Eindruck entstehen, die Securitate suche sich die potentiellen Opfer geradezu aus - vielleicht nur, um die eigene Ineffizienz zu überdecken. Der Kreis der Verfolgten wurde ausgeweitet. Während sich Rolf Bossert wehrte, zur Feder griff und Petitionen an die Parteiführung verfasste, in der Hoffnung auf diese Weise vor dem Zugriff der Securitate Schutz zu finden - eine Prozedur, die ich selbst oft und gerne praktiziert hatte, ganz nach dem Motto: divide et impera - gerieten andere in deutscher Sprache publizierende Journalisten und Schriftsteller in den Fokus der Sicherheit, unter ihnen Helmuth Frauendorfer, ein Poet meines Jahrgangs.

Als im Jahr 1984 Nikolaus Berwanger, der kontroversierte Mäzen des größten Literaturkreises in Temeschburg, nach einer Erholungsreise in der kapitalistischen Hölle nicht mehr in das Arbeiterparadies zurückkehren wollte und es überraschend vorzog, in der von Revisionisten und alten Faschisten durchsetzten Bundesrepublik zu verbleiben, fehlte plötzlich der übermächtige Protektor der linken Literaten - und mit ihm die schützende Ägide.

Die weitgehend kritischen Journalisten William Totok, Samson, Frauendorfer standen nunmehr isoliert da - und mit ihnen auch Richard Wagner und bis zu einem gewissen Grad wohl auch Herta Müller, die bis auf die zwiespältig aufgenommenen Niederungen kaum etwas veröffentlicht hatte.

 


Pour le Mérite! Appell an den Großen Bruder! Von der Freiheit, die sie meinten …


 

Als dann Helmuth Frauendorfer 1985 spontan verhaftet, verhört und von der Securitate verprügelt wurde, protestierten die fünf oben genannten Dichter, denen sich Johann Lippet, Dramaturg am Deutschen Staatstheater in Temeschburg und Balthasar Waitz, der in der gleichen Stadt einen weiteren Literaturverein leitete, anschlossen, in einem umfassenden Protestbrief an die Kommunistische Partei am Ort.

Der Protestbrief, den ich als wichtiges und vor allem decouvrierendes Beweisstück werte, ist nicht an Staatsführer Ceauşescu gerichtet, wie gelegentlich suggeriert wird, sondern namentlich an den Ersten Parteisekretär der Kommunisten Cornel Pacoste adressiert; nomen est omen auch hier: Das rumänische Wort Pacoste bedeutet nichts anderes als Heimsuchung oder Unheil!

William Totok hat das aussagekräftige Dokument zusammen mit anderen Zeugnissen aus jener Zeit in seinen Zwängen der Erinnerung veröffentlicht. Es ist gleichzeitig das erste Dokument, aus welchem hervorgeht, dass sich auch Herta Müller, aus deren Feder ich bis dahin nichts Regimekritisches kannte, in Opposition begab, allerdings eingebettet in eine Gruppe von sieben Personen.

Das ambivalente Verhältnis Kunstschaffender zur Partei und Securitate, von Rolf Bossert noch in abstrakten, ja verschlüsselten Worten umschrieben, erscheint in dem Schreiben der Literaten an den örtlichen Parteisekretär, das allerdings noch vor Berwangers Flucht abgeschickt worden war, als Klartext exponiert. Dort heißt es unmissverständlich: Am 19., 20. ,21.und 24. Juli und am 20. August dieses Jahres ist unser Kollege Helmuth Frauendorfer, Absolvent der Philologischen Fakultät in Temeswar (1984), der ein beachtliches literarisches Debüt sowie eine vielseitige künstlerische Betätigung ( er hat die Theatergruppe des Studentenkulturhauses betreut) und eine publizistische Tätigkeit (…) aufzuweisen hat, vom Sicherheitsdienst und zwar von Oberstleutnant Nicolae Păduraru und von Major Ioan Adamescu verhört worden. Während des Verhörs ist unser Kollege beschimpft und beleidigt  worden. Er wurde aufgefordert, vorformulierte Erklärungen zu unterschreiben, in denen er bestätigt, dass er „staatsfeindliche Gedichte“ schreibe und ähnliche Aktivitäten betreibe. Ebenso hat man von ihm gefordert, Erklärungen zu unterschreiben, die besagen, dass wir, die wir diese Beschwerde unterzeichnen, ihn im Sinn dieser „staatsfeindlichen Aktivitäten“ beeinflusst hätten. Dies, so der Sicherheitsdienst, sei auch durch den Literaturkreis „Adam-Müller-Guttenbrunn“ geschehen, der von Oberstleutnant Păduraru als „Räuberhöhle“ bezeichnet worden ist. Die „Räuberhöhle“ wird vom Schriftsteller Nikolaus Berwanger, Sekretär des Schriftstellerverbandes geleitet. Einige der Unterzeichner dieser Beschwerde sind Mitglieder des Literaturkreises.

Während die Securitate ganz nach den Gepflogenheiten in der breiteren Gesellschaft nun auch Literaten mit Kriminalisierungsabsicht ins Visier nahm, suchten diese den altbewährten Schutzschild zu aktivieren, ohne zu ahnen, dass Mentor Berwanger de facto resigniert, ja sein Heil bereits in Flucht und Absetzung gefunden hatte.

Die Kunst der Fuga - auch hier!

Der stramme Antifaschist von gestern war sich plötzlich selbst der Nächste, vor allem, als er merkte, dass seine Landsleute in großen Scharen und hellster Panik davonliefen, Haus und Hof verschleuderten, nur um den scheinbar ewig zementierten Kommunismus für immer zu hinter sich zu lassen.

Der kleine Lotse, der gleichzeitig der große Kapitän war, ging vom sinkenden Schiff und lies die sich selbst überlassene Mannschaft zurück, ohne Steuermann und Kompass, mitten im aufziehenden Sturm - und ohne Beiboot! Das war Solidarität und Moral in der Form sozialistischer Nächstenliebe. Zuerst komme ich! Und nach mir – die Sintflut!

Wir haben uns entschlossen, heißt es in der Solidaritätsbekundung der jungen Literaten weiter, diesen Brief zu schreiben, da der Zwischenfall mit unserem Kollegen, der - nebenbei gesagt - mit einem schriftlichen Verweis endete, nicht der erste dieser Art ist. Seit Jahren werden wir von den Vertretern des Innenministeriums aus Temeswar belästigt. Was wir schreiben, wird tendenziös umgedeutet, um zu beweisen, dass unsere Tätigkeit subversiv ist. Man verweigert uns Auslandsreisen, es fanden Hausdurchsuchungen und Festnahmen statt. Einigen Kollegen wird die Aufnahme in den Schriftstellerverband verweigert, obwohl sie die nötigen Bedingungen dafür erfüllen. Junge Schriftstellerkollegen, die am Anfang ihrer literarischen Laufbahn stehen, werden eingeschüchtert oder durch Erpressungen gezwungen, mit dem Sicherheitsdienst zusammenzuarbeiten u.a.m.

Dieses etwas aufmüpfig gehaltene Briefdokument verweist zwar auf gängige Praktiken der Securitate, ist aber noch längst kein Beweis gezielter Dissidenz, da ihm, von der erwähnten Verprügelung eines Dichters abgesehen, die eigentliche Substanz fehlt.

Im Grunde fordern die Literaten nur Marginales, das eigentlich selbstverständlich sein müsste: Der sozialistische Staat möge ihnen - den bisher weitgehend Privilegierten und Gehätschelten, die großzügig ihre Büchlein drucken durften, weiterhin die Möglichkeit einräumen, nach eigenem Geschmack und nach ihrer Fasson Literatur zu produzieren. Als Lohn sollte auch ihnen die Aufnahme in den Olymp der Dichter, in den Parnass von Bukarest, gestattet sein!

Freiheit in der Kunst? Gleichberechtigung der Kunstschaffenden aller Nationalitäten! Dagegen ist nichts einzuwenden. Überall auf der Welt sollten diese Prinzipien eine Selbstverständlichkeit sein!

 

J’accuse!


 

Viel schwerwiegender allerdings ist die Tatsache, dass die Unterzeichner des Beschwerdeschreibens allesamt den Status quo im bereits geistig wie ökonomisch dahinsiechenden Rumänien nicht in Frage stellen - und dass sie sogar, und da rebelliert es in mir, die Führungsrolle der Kommunistischen Partei Rumäniens nicht anzweifeln, sondern diese merkwürdige Rolle der totalitären Monopolpartei sogar explizit anerkennen.

In dem Brief an Pacoste (Heimsuchung! Sic!) heißt es unmissverständlich weiter: Wir haben uns an Sie gewandt, weil wir der Meinung sind, dass die rumänische Kommunistische Partei die führende Kraft unseres Landes ist.

Ein Skandal! Und überaus erhellend! Doch es geht noch weiter:

Es wird immer behauptet, dass der Sicherheitsdienst eine der Partei untergeordnete Behörde ist, und nicht umgekehrt.

Wedelt der Hund mit dem Schwanz - oder der Schwanz mit dem Hund? Und ist nur der Schwanz verwerflich, nicht die gesamte Bestie? Dann stellen die Dichter fest: Wir meinen, dass die Einschätzung eines literarischen Textes und die Äußerung eines Werturteils nicht den Offizieren des Sicherheitsdienstes zugestanden werden darf, sondern nach literarisch-ästhetischen Kriterien vorgenommen werden muß und der kompetenten Literaturkritik überlassen bleiben muß. So weit, so gut! Im Klartext bedeutet dies aber aus der Sicht eines Dissidenten aus der Zelle weit mehr als die de facto Akzeptanz des Machthabers vor Ort! Es bedeutet leicht pointiert ausgedrückt nicht weniger als: Liebe Partei!

Beschütze uns vor deinen Bluthunden und pfeife, bitte, deine Rottweiler zurück, damit wir staatsloyalen Schriftsteller unsere Literatur nach unseren Vorstellungen produzieren können - als konstruktive Kritik bei uneingeschränkter Anerkennung der Führungsrolle der Rumänischen Kommunistischen Partei unter der weisen Führung von Diktator Nicolae Ceauşescu und seiner ebenso genialen Gattin Elena Ceauşescu. Wir sozialistischen Schriftsteller der neuen Generation werden dich dann weiter so lieben wie bisher und deine Führungsrolle nie anzweifeln, obwohl wir deine verbrecherische Geschichte kennen und deine Art, Geschichte einfach umzuschreiben

Ist das Dissidenz?

Ist das etwa jenes Regimekritische, das - nach Wagners Auskunft- Gottvater Berwanger bis zum Tag seiner Fuga in den verschmähten Westen ermöglicht haben soll? Und entsprach das jener Vorstellung loyaler Kritik, jener Fiktion, von der Richard Wagner später ebenso sprach?

Verkannte diese Haltung nicht die tatsächlichen politischen Bedingungen in einem gescheiterten sozialistischen Staat, der inzwischen zur zynischen Diktatur verkommen war?

Eine totalitäre Partei, die im späteren Bericht zur Analyse der kommunistischen Diktatur in Rumänien, als ungesetzlich und verbrecherisch eingestuft wurde, als integren Dialogpartner anzuerkennen und nur die böse Securitate als Schurken auszumachen, zeugt von einer fundamentalen Verkennung der tatsächlichen Machtverhältnisse im Land!

Die Securitate war nur der Handlanger, das exekutive Repressionsinstrument der Kommunistischen Partei, die den politischen Willen verkörperte und die tatsächliche politische Macht.

Wie konnte soviel gesellschaftspolitische Naivität möglich sein - in sieben Köpfen, die allesamt in der sozialistischen Wirklichkeit lebten? Ein Unding!

Wie konnte loyale Kritik im Umgang mit einer verbrecherischen Organisation möglich sein?

Während den eigenen Landsleuten „latenter Faschismus“ vorgehalten wurde, vor allen den vielen, die sich nicht wehren konnten, weil ihnen das Instrumentarium fehlte, und den gleichen deutschen Landsleuten eine Mitverantwortung am NS-Staat, an dessen Außenpolitik und Kriegsführung angelastet wurde, vergaßen die gleichen Akteure des rechten Lichtes und Apostel der Moral die Verbrechen des Stalinismus und Kommunismus vor ihrer Haustür!

Das ist aus meiner Sicht tiefste Heuchelei! Ecrasez l’infame, kann ich da nur mit Voltaire ausrufen!

Es fällt mir schwer zu glauben, dass kritische Köpfe wie William Totok diesen Text damals so mittrugen. Und ich frage mich, wer ihn aufsetzte!?

Als Kind Stalin bewundern und im Loblied der Partei für alles danken! Das war etwas! Doch als reife Erwachsene zum Teil mit Hafterfahrung, als Hochschüler und elitäre Avantgardisten den Totalitarismus von Rechts bekämpfen zu wollen, um gleichzeitig den Totalitarismus von Links billigend zu dulden, das war etwas fundamental anderes! Eine Haltung, die ich nie verstehen konnte und werde: das war schlechthin Inkonsequenz und schlechter geistiger wie politischer Stil!

Oder neigten Intellektuelle und solche, die dieses Monopol nur für sich reklamierten, a priori zur linken Seite - wie mir es mein aufgeklärter Nachbar frühzeitig einschärfen wollte - und aus dieser Einseitigkeit heraus auch zu mangelnder Ausgewogenheit und Kurzsichtigkeit?

Aus meiner ankämpfenden wie kompromisslosen Sicht war diese damals schon identische unkritische Haltung Gift und moralisches Versagen zugleich, weil eigentliche Vorbilder die falsche Ikone anbeteten: das Götzenbild von Hammer und Sichel auf rotem Hintergrund! Gleichzeitig wertete ich die geistige Existenz in Kompromiss, Duldung und Mitläufertum als einen mehr oder weniger gezielten Dolchstoß, der meine Absetzung von dem menschenverachtenden System des Kommunismus hintertrieb und die eigene Rebellion schwächte.




Bürgerrechtler Carl Gibson zur Zeit der UNO-Beschwerde gegen Ceausescu (1981)
in Rottweil
 

Polemica in nuce!? Kritik und Selbstkritik


 

Die linken Idealisten und Utopisten waren im Gegensatz zu mir offensichtlich immer noch bereit, den längst degenerierten Staatskommunisten noch etwas Aufbruchseuphorie zuzugestehen, statt ihnen nach eklatantem Versagen auf allen Ebenen die Führungskompetenz abzusprechen. Das Rütteln an der politischen Macht war selbst im Jahr 1985, als Rumänien bereits vor dem totalen Kollaps stand, für sie noch nicht angesagt!  

Auch stand für Herta Müller, Richard Wagner und andere aus dem Umfeld keine direkte Kritik an der Kommunistischen Partei Rumäniens zur Debatte, obwohl diese Kraft  auf ihrem 9. Parteitag alle Intellektuellen im Land zum Üben von Kritik aufgerufen hatte - und indirekt zur Selbstkritik.

Offene Dissidenz war selbst in dieser größeren Gruppe nicht gewollt, obwohl das Land kurz vor dem Abgrund stand. Ceauşescu, der weitsichtige Führer, hatte damals bereits sämtliche Nahrungsmittelvorräte gegen Devisen ins Ausland verschachert, um die Fremdschulden forciert zu tilgen. Im einst wohlhabenden Rumänien, wo, zumindest im Banat, Weizen, Mais und Gerste, von den überfüllten Dachböden rieselten, war schon vor Jahren das Brot knapp geworden. Menschen mussten hundert Kilometer anreisen, um  in Temeschburg ein Baguette zu kaufen. Die Kommunistische Partei unter Ceauşescu hatte inzwischen total versagt. Ihren Führungsanspruch trotzdem anzuerkennen bedeutete eine eklatante Verkennung der Gesamtsituation.

Wo blieben der Stolz der Kunstschaffenden und die geistige Revolte des Menschen gegen Unrecht, von der Camus spricht? Indirekte Dissidenz und kulturelle Opposition entstanden bestenfalls dadurch, dass sich die einzelnen Dichter weigerten, an Schandtaten wie Lobhudelei, konformistische Berichterstattung und Infiltration mitzumachen, als Individuen, während die Gruppe den Individualwillen aufhob und löschte. Das Agieren innerhalb einer Gruppe - auch wenn es keine Aktionsgruppe war - schützte zwar den Einzelnen vor Repressalien, weil niemand wusste, wer was gesagt und formuliert hatte, aber die Einbettung exponierte das Individuum auch, indem es einem Gruppenzwang unterworfen wurde, der jede geistige Eigenständigkeit aufhob. Dahinter stand zusätzlich eine mögliche Sippenhaftung, die – wie einst bei der Aktionsgruppe – im Ernstfall den Untergang aller  auslösen konnte. Aus diesen Gründen zog ich es vor, über Jahre allein gegen den Strom zu schwimmen, meine Protestschreiben allein zu verfassen, allein zu unterzeichnen und allein mit den Folgen zu leben.. Auch in unserem offenen OTB-Kreis kamen und gingen wir als freie Individuen - fern von jedem Zwang!

Als der oben zitierte Brief im Jahr 1985 an die Lokalpartei abgeschickt wurde, nagten ein Großteil der zwanzig Millionen Menschen im Land bereits an Knochen - an was wohl die Häftlinge nagten, die zu meinen Zeiten noch Schlemmereien wie Schweinehufe vorgesetzt bekamen?

Es fehlte überall an allem; an Energie, um zu kochen und zu heizen, an Wasser, um sich zu waschen. Der Schritt zum Verzehren von Gras - wie bald darauf in Nordkorea - war schon absehbar. Die Hälfte des Bruttosozialprodukts, Milliarden, wurde nicht für die sträflich vernachlässigte Daseinvorsorge investiert, sondern für einen Monsterbau verschleudert, der nur einem Größenwahnsinnigen, ja offensichtlich gänzlich verrückt gewordenen Despoten diente.

Doch der neue Turm von Babel mit dreitausend Räumen, dem Zehntausende Bukarester weichen mussten, um Platz zu machen für das Achte Weltwunder, stand nicht im fernen Banat, in der heilen Welt meiner Kindheit, wo Leute wie C.F. Delius nach der Niederungen-Lektüre Herta Müllers Sodom und Gomorra vermuteten, auch nicht im fernen Babylon zwischen Euphrat und Tigris bei Saddam Hussein, sondern im Herzen der Walachei, in Bukarest, in Rumänien! In einer solchen gesellschaftspolitischen Konstellation erteilten naive Linke der für all das verantwortlichen Kommunistenpartei Absolution! Ein Hohn!

In den Schriftstellerverband wollten einige aus ihren Reihen aufgenommen werden, nachdem die Partei ihnen wohlwollend ein Büchlein genehmigt hatte - als Krönung ihres Künstlerdaseins!

Das war ihre größte Sorge, während andere hungerten und ihre Landsleute von panischer Untergangsstimmung ergriffen alles dem Freikauf opferten und ohne Rücksicht auf Verluste nur das nackte Leben rettend aus dem Land flohen – wie bei drohendem Krieg!

Der die Meriten der Partei unkritisch anerkennende Appell endet mit der unverhohlenen Drohung, den Großen Bruder in Bukarest informieren zu wollen, falls eine lokale Lösung ausbleibe: Also, kleiner Pinscher Unheil, wenn du nicht spurst, dann holen wir den großen Wauwau!

Darüber vergaß Herta Müller später in der Bundesrepublik zu berichten!

Den Pour le Mérite auf dafür, noch vor dem Nobelpreis!!!

Polemica in nuce? Vielleicht. Mein Ärger, der mir den Schlaf raubte, floss in einige Essays - und Satiren. Doch das Lachen bleibt weg, wenn man an die Opfer denkt, die das - wenn auch ungewollte - Stützen einer Diktatur gekostet hat. Ein Endkampf auch hier - ohne Endsieg. Nur mehr Opfer. Verbitterung kommt manchmal auf - und auch Verständnis dafür, dass aus langjährigen demokratischen Dissidenten, Menschenrechtlern und freien Geistern irgendwann nach langem Sisyphus- und Don Quichotte-Dasein der Umschwung in den radikalisierten Zynismus erfolgt! Cioran, Goma … sind Beispiele dafür!

Es bedarf keiner besonderen Erwähnung, dass nicht jeder aus der Gruppe den Text, so wie ihn vielleicht einer von ihnen aufgesetzt hatte, voll stützte und mittrug - und dass einiges davon als plakativer Appell verstanden wurde, der notwendig erschien, um überhaupt angehört zu werden. Trotzdem ist die Aktion einstiger Mitglieder der ehemals anders gestarteten Aktionsgruppe eine Geste des Kompromisses, des Arrangements mit der Macht, die 1985, als die Zivilisation in Rumänien unterging, schwer deplatziert war - das war aus meiner Sicht unfreiwillige Kollaboration!

Und worin bestand die Alternative dazu?

Eben in dem von uns durchexerzierten Modell des konkreten politischen Widerstands, das Folter und Haft implizierte, aber auch andere Signale an die Gesellschaft sendete. Vielfacher Widerstand über Jahre machte die spätere Revolution möglich - und nicht die stille Duldung einer Weltanschauung, die sich selbst schon überlebt hatte!

Manche Erfahrungen, die ich in unendlichen Variationen während der dreijährigen oppositionellen Tätigkeit hatte auch machen müssen, tauchen in dem gelinden Protestschreiben wieder auf, nur transponiert in den Bereich des Literarischen -und mit anderen Akteuren. Das System dahinter blieb gleich wie die Methoden, Menschen einzuschüchtern, sie psychisch und selbst physisch zu vernichten. Unter diesen Umständen bot sich für die Deutschen aus dem Banat und Siebenbürgen nur eine Alternative an - die Ausreise, für mich und für andere - der Exodus!

Während ich schon früh dafür optierte und so schnell wie möglich die elysischen Gefilde verlassen wollte, entschlossen sich loyale Kritiker sträubend erst später, nachdem sich selbst der stramme Antifaschist Berwanger abgesetzt und das Banat so gut wie frei von Deutschen war.

Den Schriftstellern deutscher Zunge liefen die Leser davon! Bereits 1979 war ich gegangen, weil ich die Führungsrolle der Kommunistischen Partei, die sich mit vorgehaltener Pistole und einen legitimen Monarchen nötigend an die Macht geputscht hatte, nie anerkannt hätte. Weder in Rumänien, noch sonst in einem anderen totalitären Staat.

Statt kleine Büchlein zu machen mit subjektiven Ergüssen und antiimperialistischen Parolen von der Stange, Jugendsünden, die mancher aus der Gruppe aus heutiger Sicht gerne ungeschehen machen und vergessen würde, habe ich mit anderen ähnlich denkenden Opponenten das totalitäre Regime bekämpft; und zwar selbst noch zwischen 1981 und 1984 über das Mittel der völkerrechtlichen Klage, obwohl ich meine Haut in den freien Westen gerettet und nichts mehr zu gewinnen hatte, aber alles verlieren konnte, nämlich das Leben!

Als ich damals zum Zeitpunkt der Klageerhebung - für die Sache anderer eintretend - nächtliche Drohanrufe erhielt und die zuständigen Behörden darüber informierte, vergaß ich das öffentliche Aufschreien, das Tamm-Tamm, das Trommeln, Schellen und Klappern. Das alles ertönte erst 1987, als die richtigen Dissidenten kamen!

Steht es mir damit zu, anderen den Spiegel vorzuhalten, anderen, die die Deutsche Minderheit in der Schuld sahen, sich von ihr absetzten und sie bekämpften, statt gegen die Kommunisten anzutreten? Ist es nicht schon zu spät für die Wahrheit?

Darauf mögen andere antworten!

Wer - wie Herta Müller und ihre nicht immer konsequent-kritischen Zeit-Genossen - eine kommunistische oder pseudokommunistische Einheitspartei so undifferenziert bestätigt, sollte nie Preise, die für Dissidenz vergeben werden, anfassen oder gar annehmen.

Und wenn sie solche Preise, die für Widerstand, Zivilcourage und bürgerliche Opposition in einer Diktatur vergeben werden, versehentlich von Leuten zugesprochen bekommt, die von den inneren Verhältnissen in einem totalitären System, von Dissidenz und von politischem Andersdenkertum keine Ahnung haben, dann sollte die Dame jene Ehrungen schleunigst zurückgeben, damit sie jenen Menschen zukommen, die für ihre weltanschaulichen Überzeugungen wirklich im Gefängnis saßen - über eine Woche hinaus.








Carl Gibson, Symphonie der Freiheit,
Dettelbach, 2008, 418 Seiten.



Pestsäule und Dom, Temeschurg,


OTB-Organisator Georg Weber, 1982 in Dortmund



 




Kathedrale, Temeschburg

ZK


Ceausescus Palast


Carl Gibson, Lesung
 
 
Mehr zum Thema Kommunismus hier:

Carl Gibsons neues Buch

zur kommunistischen Diktatur in Rumänien -

über individuellen Widerstand in einem totalitären System.




Allein in der Revolte -

im Februar 2013 erschienen.

Das Oeuvre ist nunmehr komplett.
Alle Rechte für das Gesamtwerk liegen bei Carl Gibson.

Eine Neuauflage des Gesamtwerks wird angestrebt.


Carl Gibson

Buchrückseite




Fotos von Carl Gibson: Monika Nickel

©Carl Gibson. Alle Rechte vorbehalten.





 

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