Dienstag, 15. Januar 2013

Die Wahrheit wird euch frei machen - Verrat und Verrat!



Die Wahrheit wird euch frei machen - Verrat und Verrat!



Wir sehen nur Handlungsweisen. Danach müssen wir uns richten und urteilen! Während der eine in die Freiheit flieht, unterwirft sich der andere aus der Freiheitheraus - wenn es denn so war - der Unfreiheit und der Niedertracht. Ist nun ein Entwicklungsprozess, wie ihn die vielen Kains, Ahasvers und Fausts genommen haben, nicht ehrenhafter und, aus christlich- humaner Sichtweise betrachtet, nicht verständlicher als der Weg anderer Zöglinge innerer Parteikultur, die dieFreiheit ad absurdum führten, indem sie ihr Tun und Trachten im freien Westen den Zwecken einer finsteren Diktatur unterstellten? Einer entzog sich der Repression und Manipulation, um als Eingeweihter aufzuklären; ein Anderer opferte die Ideale der Freiheit, um Gesinnungsgenossen und Widerständler der Securitate auszuliefern. Die Namen wechseln, doch das schockierende Phänomen bleibt.

Nur gibt es auch in Sachen Verrat noch feine, graduelle Unterschiede. Caraion, von dem Manolescu behauptete, er hätte sich schon früh mit Ceauşescu arrangiert, verriet, wenn er es denn tatsächlich getan hat, seinen Nächsten, aus Notwehr, um, nach elf Jahren bitterster Haft, selbst zu überleben und um gegen den Mann des Systems, gegen den Intimfeind Eugen Barbu, den Mentor Tudors, auszusagen. Ist dieses existentielle Handeln verwerflich? Doch andere verrieten, wenn sie verrieten, ihre idealistischen Mitstreiter - zum Teil als freie Menschen im Westen - nur aus einem persönlichem Ehrgeiz heraus.

Solche Differenzierungen werden oft vergessen, wenn schon ein Indiz ausreicht, um mit dem Stein zu werfen. Und Steinewerfer der Moral gibt es heute viele. Manche exponierte Charaktere, aus dem diktatorischen Kommunismus hervorgegangen, verweisen mit ihren entgegengesetzten Entwicklungen auf einen Konflikt der gesamten Gesellschaft, der einer Aufarbeitung und Vergangenheitsbewältigung voraus geht. Der Weg ist noch weit. Tröstlich ist die Tatsache, dass zumindest die Richtung stimmt.

Der Professor aus Maryland erkennt heute in der Verurteilung des Kommunismus durch den Landespräsidenten, dessen Entmachtung am Ende doch noch vermieden werden konnte, einen symbolischen Akt von historischer Tragweite. Wenn die lange Reihe der Namen, sein eigener wie jener des Präsidenten, längst vergessen sein werden, wird die ideelle Tat, die aus der Freiheitemanierte, noch Bestand haben - sie ist auch die Conditio sine qua non für die Zukunft der rumänischen Nation in Europa.

Der Bericht zur Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit in Rumänien war seit dem Zeitpunkt seines vorläufigen Abschlusses auf der Internet-Seite des Präsidenten der Republik abrufbar. Als Präsident Băsescu als Folge eines Misstrauensvotums von 322 Abgeordneten im Parlament - und somit von einer demokratisch legitimierten Mehrheit - suspendiert worden war, verschwand auch der Tismăneanu-Report von der Seite. Als ich beim üblichen Nachlesen plötzlich keinen Bericht mehr vorfand, durchfuhr mich ein Schrecken, verbunden mit einer üblen Vorahnung. Mitten im wunderschönen Monat Mai 2007, wo alle Knospen sprangen, wo in manchen Herzen, die Liebe aufgegangen, fühlte ich mich an düstere Zeiten erinnert, an Zeiten, wo das freie Wort über Nacht abgewürgt wurde und wo die Alte Ordnung, der Status quo ante, schnell wieder hergestellt worden war. Im Mai-Heft 2007 der Halbjahresschrift für südosteuropäische Geschichte, Literatur und Politik, von Johann Böhm, William Totok und Dieter Schlesak herausgegeben, erschien zufällig und avant la lettre ein Auszug aus meiner Symphonie der Freiheit - unter der richtungweisenden Makroüberschrift des Blattes Düstere Zeiten. Ein mahnender Zufall?

Es war kurz vor dem Referendum in Rumänien, das über das politische Schicksal von Präsident Băsescu entscheiden sollte - und somit auch über das Los des Raport final. Drohte wieder eine Restauration? Ein Rückfall in diktatorische Zeiten? Besorgt meldete ich mich bei Professor Tismăneanu in Washington und fragte nach, auch in Sorge darum, die endgültige Fassung des Reports, in die eine Reihe eigener Zeugnisse und Anregungen eingeflossen waren, werde nicht mehr fertiggestellt werden können. Wenn das Referendum gewonnen sei und Präsident Băsescu die Schmach überstehe, werde der Report wiederkehren und an seinem angestammten Platz zu finden sein, tröstete mich der Wissenschaftler.

Er sollte Recht behalten. Präsident Băsescu überstand das Referendum mit einem Votum von 75 Prozent der Wählerstimmen, ohne dass die Probleme, die politische Ohnmacht und die inneren Zwistigkeiten, die zur Lahmlegung geführt hatten, danach erledigt gewesen wären.

Inzwischen, im Frühling 2008, ist der Präsidialreport, der als Standardwerk zur Beschreibung und Analyse des Kommunismus in ganz Osteruropa angesehen werden kann, wieder aus den Bunkern, wo ihn andere gleich nach der Suspendierung Basescus vergraben hatten, wieder hervorgeholt worden. In einer überarbeiten Fassung erschien er als Druck, doch nur in rumänischer Sprache. Der Bericht zur Analyse und Verurteilung der kommunistischen Diktatur in Rumänien kann auch wieder auf der Internetseite des Präsidialamtes abgerufen werden - nach Monaten der Versenkung, doch nur in alter Version. Die Druckfassung erschien in kleiner Auflage, ist teuer und kaum überarbeitet. Als Übersetzung wird der Bericht bald auch die Menschen über Rumänien hinaus erreichen. Hoffentlich! Denn die jüngste rumänische Vergangenheit ist ein Teil der europäischen Geschichte!

Neues Ungemach droht aber immer noch. Kommissionspräsident Tismăneanu wurde erst jüngst vor einer anstehenden Rumänienreise, die dem Abschluss des Berichtes dienen sollte, erneut mit Drohungen obskurer Kräfte konfrontiert, Drohungen alten Stils in Briefform, die sich nach Aussage Tismăneanus gegen alle fünfzig Mitglieder der Kommission richten. Die schon totgesagte Securitate ist scheinbar wieder auferstanden, lebt, ist heute quicklebendig und agiert zur Beunruhigung aller, die sich für die Demokratisierung einsetzten, auf die alte Weise. Sie bedroht unverfroren weiter Menschen, ehemalige Dissidenten und Kritiker der kommunistischen Diktatur, Historiker, Bürger mit Zivilcourage, die es wagten und wagen, Unrecht öffentlich wissenschaftlich zu diskutieren und ist offensichtlich auch bereit, nach altem Muster zu handeln.

Wie reagieren die Demokraten Europas darauf? Die Reaktion der Europäischen Union ist bestenfalls verhalten - sie reagiert mit Kritik auf die unzureichenden Integrationsfortschritte Rumäniens und Bulgariens, ist aber unfähig zu handeln und die Bedrohten zu schützen. Es ist nicht viel anders als 1981 in Genf, als die Klage gegen die Ceauşescu-Diktatur anstand. Die Bedrohung ist auch heute gegeben - und die Bürgerrechtler sind ihrem Schicksal überlassen: Finis tragoediae?

Eine Diktatur ist eine Diktatur - doch jede Diktatur ist anders. Deshalb kann die Auseinandersetzung mit menschenverachtenden Regierungsformen nicht gründlich genug sein. Konstant ist nur der Wert, nach dem alles Leben strebt, der Wert schlechthin, der die Negativität aufhebt: die Freiheit!




Auszug aus: Carl Gibson,

Symphonie der Freiheit
Widerstand gegen die Ceauşescu-Diktatur

Chronik und Testimonium einer Menschenrechtsbewegung

in autobiographischen Skizzen, Essays, Bekenntnissen und Reflexionen,

Dettelbach 2008, 418 Seiten -

Leseprobe


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