Dienstag, 15. Januar 2013

Epilog: Quo vadis, Romania?




Epilog: Quo vadis, Romania?



Im Rausch der Freiheit- Rumänien unmittelbar nach der Revolution




Der Dichter, der bereits in den Stunden des Umsturzes vor das Mikrofon trat, um seinen Landsleuten sowie der gesamten Weltöffentlichkeit mit wahrem Pathos und aufrichtiger Begeisterung den Sieg des Volksaufstands und die wieder gewonnene Freiheit zu verkünden, war Mircea Dinescu. Für Momente sah es damals so aus, als hätte auch in Rumänien ein Ideal triumphiert; als sei die Diktatur für immer erledigt und mit ihr das kommunistische System, das sie erst ermöglicht hatte. Doch dieser Eindruck täuschte.

Nur wenige Tage nach dem Umsturz, der bald darauf von vielen Rumänen nur als Coup d’ Etat, als Staatsstreich und als Parodie einer Revolution angesehen wurde, und dies, obwohl dabei nahezu tausend Menschen ihr Leben lassen mussten, übernahmen die Altkommunisten um den aus zweiter Reihe aus dem Hut gezauberten Altstalinisten Ion Iliescu die politische Macht.

Waren Mircea Dinescu und andere oppositionelle Intellektuelle, die in den Augenblicken des Umbruchs - wie auf Regieanweisung - kurz in das Rampenlicht rückten, bewusst instrumentalisiert worden? Hatte man sie vorausgeschickt, um die aufgebrachte Stimmung der Massen in eine bestimmte Richtung zu lenken?

Vieles spricht dafür. Denn schon kurze Zeit nach dem vermeintlichen Sieg der Revolution wurden die kaum erst befreiten Dissidenten, Schriftsteller und andere Kunstschaffende wieder ins Glied zurück gedrängt und der politischen Bedeutungslosigkeit überantwortet, während anderswo in Europa der Dramatiker Havel und der kecke Arbeiter Walesa zu Staatschefs erhoben wurden. In Rumänien blieb zunächst, das heißt weitere sieben Jahre, alles beim Alten.

Wer war Mircea Dinescu eigentlich? Was wussten wir von ihm und seiner Dichtung? Während die meisten rumänischen Literaten im Land sich in Konformismus übten; während sie schrieben und veröffentlichten, was die kommunistische Partei von ihnen erwartete - eine Auswahl solcher Kunstkreationen findet sich in der von Virgil Ierunca im Pariser Exil zusammengestellten Anthologie der Scham ; während selbst Autoren deutscher Zunge Sprache damit beschäftigt waren, das Wertesystem ihrer Ahnen literarisch der Lächerlichkeit preiszugeben; während die wenigen Dissidenten im Land bitter verfolgt, zu hohen Haftstrafen verurteilt und in die Gefängnisse geworfen wurden, war Mircea Dinescu einer der wenigen Charaktere in der Intellektuellenszene, die Zivilcourage bewiesen und aufmuckten.

Noch in diktatorischen Zeiten, als das Rebellieren die bekannten Konsequenzen nach sich zog, trat er als sympathischer junger Rumäne auf, der kein Blatt vor den Mund nahm, als einer, der frank und freialles aussprach, was ihm durch sein phantasiereiches Gehirn ging - und dies beharrlich über Jahre hinweg in Lyrik und in Prosa. Im Westen wurde davon kaum etwas registriert. Eigentlich wussten nur wenige Eingeweihte, die im Rahmen der bestehenden Informationsmöglichkeiten die oppositionelle Szene des Ostens beobachteten, von dem poetisch-moralischen Protest, dem Nonkonformismus und der systemkritischen Haltung des Dichters.






Auszug aus: Carl Gibson,

Symphonie der Freiheit
Widerstand gegen die Ceauşescu-Diktatur

Chronik und Testimonium einer Menschenrechtsbewegung

in autobiographischen Skizzen, Essays, Bekenntnissen und Reflexionen,

Dettelbach 2008, 418 Seiten -

Leseprobe


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