Mittwoch, 16. Januar 2013

Frankreich!


Frankreich!



Schilder auf der rechten Seite verwiesen auf Mühlhausen, auf das blumengeschmückte Elsass am Fuße der Vogesen, auf heimatlich empfundene Rosen, Schwalben, Störche - und auf das welsche Hinterland mit seinem derben Münster-Käse, der gut zum Traminer passt.

Frankreich!

Das war für mich zu keinem Zeitpunkt das Land des Erbfeindes, sondern stets ein ganz besonderer Teil der Erde, ein Arkadien, wo selbst Götter sich wohl fühlten: ubi bene, ibi patria - diesen Vorwurf hatte ich schon als Gymnasiast erdulden müssen.

Jetzt reiste ich wahrlich am Garten Eden vorbei, auf dem Grenzstreifen zweier Vaterländer. Frankreich galt immer schon als das Land der Sensualisten und Epikureer! Weit darüber hinaus - war es für mich ein Land der Sehnsucht! Das Land der Freiheit!

Viel von meiner geistigen Heimat lag dort verborgen, wurzelte dort - wie fernes lothringisch-elsässische Blut auch durch meine Adern floss, Franzosenblut und Wahlfranzosenblut!

Frankreich war eine Heimat, die ich als Ideal aufrechterhielt, ohne sie ganz genau überprüfen zu wollen - aus Angst vor endgültiger Desillusion.

Der Mensch braucht ein letztes geistiges Refugium, auch im Irdischen.

Dieses Asylum war für mich Frankreich!

Denn auch ich war ein später Frankreichbegeisterter aus der langen Reihe vieler Deutscher durch die Geistesgeschichte; und dies lange nach Heine, der seinen Traum träumte wie vom fernen Elysium.

Frankreich war jenes Fleckchen Erde außerhalb Deutschlands, wo ich mich am wohlsten fühlte, noch besser als im jenem sonnigen Land, wo die Goldorangen blühen. Hatten die Rumänen vielleicht auch mich angesteckt mit ihrer Paris-Begeisterung?

Bestimmt nicht! Viel weiter unten warteten südlichere Gefilde, die Gärten der Hesperiden- das blühende Eden, mein neues Arkadien: die Provence!

Doch diesmal wollte ich geradeaus.

Den Rütli-Schwur in den Ohren, dessen aufwühlender Klang und dessen solidarische Botschaft mich seit meiner Kindheit nicht mehr verlassen hatten, passierte ich die Grenze jener Alpenrepublik, die es geschafft hatte auch gegen höchsten Druck ihre Neutralität und Freiheitzu wahren.



Auszug aus: Carl Gibson,

Symphonie der Freiheit

Widerstand gegen die Ceauşescu-Diktatur




Chronik und Testimonium einer Menschenrechtsbewegung

in autobiographischen Skizzen, Essays, Bekenntnissen und Reflexionen,

Dettelbach 2008, 418 Seiten -

Leseprobe

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