Dienstag, 15. Januar 2013

Symphonia

Symphonia


Rumänien braucht weiterhin eine systematische Vergangenheitsbewältigung durch die Aufarbeitung der Geschichte - und das Land braucht ferner auch noch eine Kultur der Versöhnung zwischen den politischen Fronten, die ohne eine Rehabilitierung der zahlreichen Opfer, auch der Vertriebenen und Exilierten, nicht möglich ist.

Die demokratischen Kräfte in Europa sind aufgerufen, den Brandstiftern von gestern, die heute noch gefährlicher sind und erneut gegen Menschen hetzen, auf die Finger zu sehen. Wenn die europäische Integration gelingen soll, dann funktioniert dies nur ohne jene Brut des Bösen, die mit Hetze schon mehrfach Unheil über die Menschheit brachte. Die Zigeuner Rumäniens - das sind die Tschetschenen Russlands: aus der Sicht totalitärer Führer, die sich selbst zur Zivilisation zählen, gelten sie schlechthin als Banditen. Im Grunde aber sind es nur zwei von vielen Völkern, für die Europa, die Welt und das noch so unzulängliche Völkerrecht keine Lösung gefunden haben.

Heuchelei und Hetze sind todbringende Gifte, denen sich keine Demokratie auf Dauer widersetzen kann. Das Ecrasez l’infameVoltaires, jenes Aufklärers aus Leidenschaft, gilt auch heute noch. Ohne die allgegenwärtige Heuchelei in allen Lebensbereichen wäre eine Diktatur Ceauşescus nie möglich gewesen. Doch wo die Hetze einsetzt, dort endet die Freiheit!

Statt der Hetze gegen Minderheiten aller Art, die, wie einst im Pseudokommunismus von Diktator Ceauşescu, immer noch massiven Diskriminierungen und Stigmatisierungen ausgesetzt sind, sollte man heute in den Straßen Bukarest öfters wieder die Neunte Symphonie Beethovens erklingen lassen, wie einst in Wilna, jene Symphonie der Freiheit - gegen Sklaverei, Heimtücke und Hass die Massen berauschte.

Aktueller denn je ist der Appell des Komponisten, den Beethoven dem Odentext des Dichterphilosophen einleitend beifügte: O Freunde, nicht diese Töne! Sondern lasst uns angenehmere anstimmen und freudenvollere.Hinter der Erweckung von Freude, die ein Element der Natur und der Freiheitist, verbarg sich eine Vision, das prophetisches Sehen einer emanzipierten Menschheit. Hetze bewirkt nur Trennung und Spaltung. Sie bringt die Menschen gegeneinander auf, statt sie miteinander zu versöhnen.

Symphonia aber, das wussten schon die Alten, bedeutet Zusammenklang.

In der Symphonie von Wahrheit und Freiheitwerden die Menschen zusammen geführt, über die Harmonie hinaus in eine größere Einheit, deren Spiegelbild die Lebenssymphonie jedes Einzelnen ist. Das Miteinander der Stimmen zählt, nicht das Durcheinander oder gar das Gegeneinander. Indem sich der Einzelkünstler im Orchester zurücknimmt, ermöglicht er über sein rücksichtsvolles Handeln den Wohlklang des symphonischen Kunstwerks. Eine Umbruchgesellschaft wie die rumänische sollte sich an den Musikern orientieren, die, wie Beethoven bereits betonte, die Erdenbürger über die Musik schon längst vereinten und versöhnten. Es war kein Zufall damals, als die Menschen in Osteuropa aus ihrem finsteren Kerker ausbrachen und ans Licht strömten, gleich den Gefangen aus Fidelio, um endlich in freier Luft den Atem leicht zu heben, dass sie gerade die Neunte Beethovens anstimmten.

Sie handelten aus einem Impuls heraus und intuitiv richtig, indem sie auf neue Töne setzten, auf die verbrüdernden Zusammenklänge jener Symphonie der Freiheit, die inzwischen Europas offizielle Hymne ist. Ihre Botschaft ist der Wegweiser zum Endziel, zum ewigen Frieden, von welchem Kant träumte. Obwohl es bis zum letzten Ziel noch weit ist, gilt jetzt schon ein Gebot für alle Menschen überall auf der Welt:


Freiheit, schöner Götterfunken,

Tochter aus Elysium,

Wir betreten zaubertrunken,

Himmlische, dein Heiligtum.


Deine Zauber binden wieder,

Was die Mode streng geteilt,

Alle Menschen werden Brüder,

Wo dein sanfter Flügel weilt.


Ende



Auszug aus: Carl Gibson,

Symphonie der Freiheit

Widerstand gegen die Ceauşescu-Diktatur


Chronik und Testimonium einer Menschenrechtsbewegung

in autobiographischen Skizzen, Essays, Bekenntnissen und Reflexionen,

Dettelbach 2008, 418 Seiten -

Leseprobe


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